Kommt endlich sinnvolle Reform des Bundesheeres?

Wir können uns das jetzige Wehrsystem längst nicht mehr leisten. Ob ein besseres kommen wird, muss bezweifelt werden.

Im Herbst soll die von Verteidigungsminister Gerald Klug angekündigte „Reform“ des Bundesheeres also endlich in die Tat umgesetzt werden. Es soll eine Spar-Reform werden, die lediglich auf militärischer Beamtenebene, statt richtigerweise vom Parlament ausgearbeitet und de facto beschlossen sein wird. Kann da eine wirklich sinnvolle und nachhaltige Reform herauskommen? Große Zweifel sind angebracht.

Zur tatsächlichen Auftragserfüllung der vielen vom Gesetzgeber geforderten Aufgaben des Bundesheeres und der abgeleiteten möglichen Einsatzszenarien wünschen sich die beamteten Militärs eine deutliche Erhöhung des Wehrbudgets, insbesondere auch zur Sicherstellung ihrer Besoldung.

Bei mehr als 70 Prozent des Verteidigungsbudgets für Personalkosten – Tendenz steigend – scheint ihre Sorge zwar nachvollziehbar, aber nicht berechtigt zu sein. Umgekehrt formuliert: Mit der derzeitigen Finanzierung, mit dem derzeitigen Personalstand und dem derzeitigen Wehrsystem kann man die gestellten Aufgaben nicht wirklich erfüllen!

Der Bundesminister selbst hat in aller Öffentlichkeit erklärt, dass für das Bundesheer „der Boden des Fasses erreicht“ sei. Wir können uns das derzeitige System eigentlich schon seit Langem nicht mehr leisten. Es hat versagt!

Sparen bei beamteten Militärs

Der Versuch von Minister Klug, vom eigenen Problem abzulenken und die EU aufzufordern, mehr für die Sicherheit zu tun (um auch Österreich militärisch zu schützen?), ist bemerkenswert unangebracht und naiv. Klug will im Gegenzug österreichische „Stärken“ für die EU einbringen – wie Spezialeinsatzkräfte, Gebirgsjäger-Ausbildung, ABC-Abwehr, Logistik und Katastrophenhilfe. Er denkt wohl an EU-Auslandseinsätze in Kompanie-, bzw. Zugsgröße.

Was wir hingegen in Europa brauchen, ist eine Zone gleicher Sicherheit innerhalb aller Staaten, natürlich auch in Österreich, zum Schutz der jeweils eigenen Bevölkerung auf eigenem Territorium. Zusätzlich sind „out-of area“-Einsätze zu ermöglichen.

Der Verteidigungsminister spricht davon, dass das Bundesheer für das Budget zu groß sei. Bravo! Aber dann muss man das Bundesheer natürlich dort verkleinern, wo die Kosten am höchsten sind. Also beim beamteten Personal, insbesondere bei den Berufsmilitärs – und nicht wie bisher durch Streichungen von Personenlisten von Soldaten im Milizstand, die ja typischerweise nicht als „Personal“ eingestuft, sondern als „Sachaufwand“ finanziert wurden!

Derzeit reicht das Budget-Geld kaum mehr, um die Beamtengehälter zu bezahlen und kaum mehr, um neue Beschaffungen und bestimmte Aktivitäten vorzunehmen. Nur bei Inseraten in bestimmten Tageszeitungen wird nicht gespart! Fahrzeuge wurden „wegrationalisiert“; es gibt ohnedies kaum Sprit. So kann es also nicht weitergehen. Statt den Auftrag zu erfüllen, wurde im Wesentlichen Personalpolitik betrieben.

Mit der Volksbefragung im Jänner 2013 wurde die ohnehin im Gesetz vorgesehene „Wehrpflicht“ als Fleißaufgabe bestätigt. Die SPÖ musste Wehrpflicht und Zivildienst ungewollt akzeptieren.

Das wehrpolitische Verständnis – auch der ÖVP – war allerdings die verfassungswidrige Beibehaltung der sinnlosen 6+0-Monate-Wehrpflichtversion ohne die essentielle Wehrpflichtmiliz, obwohl ÖVP-Bundesparteiobmann Michael Spindelegger lange Zeit einen Österreichdienst mit einer eher verfassungskonformen 5+1-Monate-Lösung präferiert hatte. Die erforderliche Wehrpflicht der Milizkräfte verblieb als die oben genannte Null und wurde somit erneut amputiert. Und das im Gegensatz zum militärisch notwendigen Bedarfsheer entsprechend des Verfassungsgebots.

Damit war die Sache fälschlicherweise erledigt und man wendete sich einer weiteren – seit vielen Jahren versprochenen – Planung der „Attraktivierung“ (was für ein eigenartiges Wort!) des Grundwehrdienstes zu!

Böcke zu Gärtnern gemacht

Auf militärischer Beamtenebene waren auch bisher erklärte Gegner der Wehrpflicht dabei, die nunmehr auch in höchsten Positionen zur Vollziehung der Wehrpflicht aufsteigen konnten (Böcke wurden so zu Gärtnern gemacht).

Man konnte sich bequem im Politiker- oder Beamtensessel zurücklehnen und auf weitere Ausarbeitungen des Ressorts, und vielleicht sogar auf aufgewärmte Ergebnisse der gescheiterten Wünsche der alten außerparlamentarischen Bundesheer-Reformkommission warten.

Das Kapitel militärische Landesverteidigung ist eine sehr große Baustelle, die man aus finanziellen, gesellschaftlich-sozialen, sicherheitspolitisch-militärischen und verfassungsrechtlichen Gründen nur mit einer wirklich durchdachten Bundesheerreform erfolgreich bearbeiten kann: im Sinne eines modernen Heeres für den Bedarfsfall. Man sollte sich im Klaren darüber sein, wozu Österreich militärische Streitkräfte, das Bundesheer, wirklich braucht.

Geringe Bedrohungslage

Es ist weitgehend unbestritten, dass man – auf Österreich bezogen, und mit entsprechender Vorsicht – derzeit von einer akut als gering einzustufenden Bedrohungslage sprechen kann.

Von der Liste der Einsatzszenarien für das Bundesheer sind nur die Luftraumüberwachung, die Tätigkeit der militärischen Nachrichtendienste und die jeweiligen Auslandseinsätze, die nur eine geringe Anzahl von Soldaten (rund 1000 Männer/Frauen) betreffen, aktuell. Alle anderen Einsatzszenarien fallen in den Bereich der Vorbereitung und der Ausbildung für den Bedarfsfall.

Welche Lösungen bieten sich an? Die derzeit insgesamt sechs Monate dauernde Wehrpflichtzeit muss neu konzipiert werden; eingeleitet durch eine sehr wirksame Sofortmaßnahme, die in sinnvoller Weise einen vier Monate dauernden, ausbildungsmäßig intensivierten Grundwehrdienst vorzusehen hat, sowie nachgestaffelt zwei Monate Wehrpflicht in Form jährlicher Einsatzübungen für die nachfolgenden fünf bis zehn Jahre (ähnlich der Schweiz).

Offiziere und Unteroffiziere müssten sich – wie schon bisher – zur zusätzlich freiwilligen Kaderfortbildung und zu Leitungsfunktionen melden.

Diese einsatzorientiert ausgebildeten Bedarfskräfte des Milizsystems sind auch hinsichtlich des Finanzierungsrahmens der Schlüssel zur weit ökonomischeren Lösung; im Gegensatz zu den ganz offensichtlich viel zu hohen Personalkosten der militärischen Beamtenebene (Berufssoldaten).

Kleinere Berufskomponente

Natürlich ist eine zu den Milizkräften zusätzlich notwendige, wenn auch entsprechend verkleinerte Berufskomponente als wichtiger integrierender Bestandteil des neuen Bundesheeres entsprechend zu gewährleisten.

Es ist dies de facto die einzige, auch ökonomisch ernstzunehmende Konzeption und sicherheitspolitisch notwendige Strukturmaßnahme, die obendrein in der österreichischen Bundesverfassung verankert ist. Die gilt es in getreulichster Form zu vollziehen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Dr. Alfred C. Lugert ist Sozialwissenschafter und Partner bei der Studiengruppe für Sicherheitspolitik (SGSP) in Wien. Er war Visiting Professor for Political Science an der University of New Orleans, Louisiana, Direktor und Militärdiplomat bei etlichen OSZE-Missionen. Mehrjährige Auslandseinsätze als Reserveoffizier des Bundesheers. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.