Alterung, Verschuldung? Nach uns die Sintflut!

Gastkommentar. Wie Österreichs politisch Verantwortliche über die großen Herausforderungen der Zukunft denken, wissen wir nicht.

Wieder einmal müssen Hoffnungen auf eine kräftigere Belebung der Wirtschaft abgeschrieben werden. Die ohnehin schwächelnde europäische Wirtschaft hat stark an Schwung verloren und wächst heuer nicht mehr. Das droht, den abgesteckten Pfad zur Budgetkonsolidierung unpassierbar zu machen. Die Flaute liefert Argumente zugunsten einer raschen Steuersenkung. Der österreichische Finanzminister ist freilich nicht der einzige unter seinen Kollegen, der in diese Bedrängnis gerät.

Für die neuerliche Konjunkturverschlechterung gibt es einige naheliegende Gründe: die Ukraine-Krise, der Russland-Boykott, die Kriege im Nahen Osten, das Interregnum in Brüssel, welches die ohnehin kraftlose europäische Politik weiter schwächt, die möglichen Folgen einer Zinswende in den USA. Neben diesen unmittelbaren Anlässen darf nicht übersehen werden, dass die Rezession 2008/09 kein konjunkturelles Ereignis war. Es war die Konsequenz der jahrelang zu lockeren Geldpolitik, die eine überzogene Verschuldung von Banken, Privaten und Staatshaushalten erlaubt hatte. Damit ergab sich ein höheres Wirtschaftswachstum, als dem längerfristigen Trend entsprochen, aber auch fundamentale Labilität.

Epochale Belastungen

Kreditfinanzierte Konjunktur führt früher oder später zum Gürtel-enger-Schnallen. In vielen europäischen Ländern, darunter auch Österreich, sind unter dem Einfluss der Rezession und der Stützung des Bankensystems die Staatsschulden so stark gestiegen, dass auch unter günstigen Annahmen die Rückführung auf ein vertretbares Maß länger als ein paar Jahre in Anspruch nehmen wird. Oder das Problem ufert in hoher Inflation zum Schaden der Kreditgeber aus.

Ein ungnädiges Schicksal will, dass in den nächsten zwei Jahrzehnten mehrere epochale Belastungen gleichzeitig auf die Wirtschaftspolitik zukommen: Die Alterung der Bevölkerung wird sich beschleunigen und mit ihr der unvermeidliche Anstieg der Sozialkosten. Diese Schwelle wird von den Demografen gerade für Österreich bis Mitte der 2030er-Jahre besonders steil prognostiziert, mit entsprechenden Folgen nicht nur für die Finanzierung der Pensionen, sondern auch der auf uns zurollenden Pflegelawine und für den Gesundheitsbereich. All dies setzt – auch wenn das niemand will – die Solidarität zwischen der älteren und der jüngeren Generation einer starken Belastung aus.

Die Umstellung des Wirtschaftssystems als Folge der Klima- und Energieperspektiven mag zwar langfristig positive Impulse liefern, einige Zeit hindurch verlangt sie aber hohe Investitionen.

Die immer bedrohlicheren globalen Spannungen verlangen einen höheren Aufwand, damit sie nicht eskalieren, hoffentlich keinen militärischen. Die überhöhte Staatsverschuldung muss in vielen Ländern abgebaut werden. Das belastet die verfügbaren Einkommen der Bevölkerung.

Aus diesen Gründen ist ein Aufschwung, der die Probleme erleichtern würde, eher nicht zu erwarten, sondern viel eher eine anhaltend gedämpfte Wirtschaftsentwicklung. Und damit weiter würgende budgetäre Enge mit möglicherweise ernsten politischen Folgen.

Wie die für die österreichische Politik Verantwortlichen über diese Herausforderungen denken, darüber wurde bisher kein Wort verloren. Denken sie überhaupt darüber nach? Wenn ja, dann wird das nicht sachlich und öffentlich kommuniziert. Die Bevölkerung soll ja nicht beunruhigt werden und keine unbequemen Fragen stellen.

Stattdessen aber: „Die Pensionen sind gesichert.“ Streng genommen ein Unsinn! Erstens ist prinzipiell nichts für alle Zukunft gesichert. Zweitens: Die entscheidenden Fragen sind nicht, ob es überhaupt staatliche Pensionen geben wird, sondern: in welcher Höhe, wie und vom wem finanziert?

Kein Grund zur Beruhigung

Der EU sei Dank, dass sie alle Mitglieder angehalten hat, den durch die Alterung ausgelösten Mehraufwand des Staates für Pensionen, Pflege, Gesundheit und Bildung bis 2060 durchzurechnen (zuletzt im EU-Ageing-Report 2012). Für das halbe Jahrhundert bis 2060 ergibt sich für Österreich (Basisszenario) ein alternsbedingter Anstieg des öffentlichen Aufwands um insgesamt 4,4 Prozent des BIP. Das scheint einigermaßen verkraftbar und auch nicht aufregend mehr als im Durchschnitt der EU-Staaten. Mag sein. Über 2060 weiß niemand etwas Verlässliches.

Daraus Beruhigung abzuleiten und wieder zur aktuellen Tagespolitik zurückzukehren, wäre falsch. Die Perspektive 2060 – ohnehin ziemlich sinnlos – verführt zu einem irrigen Schluss: Aus demografischen Gründen wird in Österreich der gesamte Mehraufwand der Alterung für die Pensionen schon bis Anfang der 2030er-Jahre fällig werden (fragen Sie bitte die Demografen, warum), dazu auch noch der größere Teil des ohnehin zu niedrig geschätzten Mehraufwands für Pflege.

Geringere Wachstumsraten

Wenn man den Projektionen überhaupt trauen mag, hat Österreich zwar vielleicht kein Problem 2060, aber ein Problem 2030. Auf den halben Weg bezogen ist der Anstieg doppelt so steil und das Problem doppelt so dringend. Das ist aber just der Zeitraum, in welchem die Steuerzahler außerdem für den Abbau der Staatsschulden herhalten werden müssen. Und ein nicht alternsbedingter, aber unvermeidlicher Mehraufwand für das Gesundheitssystem und das Bildungswesen ist da noch nicht berücksichtigt.

Ähnlich irreführend wäre der Schluss: Das Sozialprodukt werde vielleicht etwas weniger rasch, aber doch auch weiterhin wachsen. Da bliebe sicher noch immer Platz für einen weiteren Anstieg der Realeinkommen des größten Teils der Bevölkerung. Nein!

Erstens ist die Kaufkraft der Nettoeinkommen unselbstständig Erwerbstätiger seit 2000 (also inklusive der Jahre vor der Rezession) preisbereinigt nicht gestiegen, sondern um fast ein halbes Prozent pro Jahr gesunken, auch wenn dabei das reale BIP um jährlich 1,6 Prozent zugenommen hat. Frage: Wohin ging der Zuwachs des BIP, wenn nicht in die Haushaltseinkommen? Antwort: in die rasch steigende Staatsfinanzierung und in die Einkommen aus Kapitalbesitz.

Zweitens wäre es ein Gebot der Klugheit und Vorsicht, für die Zukunft mit geringeren Wachstumsraten als bisher zu rechnen. Sollten sie übertroffen werden, wären Anpassungen kein Problem, wohl aber weitere Kürzungen.

Wo bleiben die Strategien?

Unsere Politik ist vollauf damit ausgelastet, die vereinbarten Ziele bis 2018 zu erreichen. Wenn das überhaupt gelingt, was zweifelhaft ist, kommt gleich danach nicht ein nebuloses Jahr 2060, sondern folgen die 2020er-Jahre mit den stärksten Mehrbelastungen Jahr für Jahr.

Es wäre hoch an der Zeit, sich ernsthaft mit Strategien für diese schwierige Epoche auseinanderzusetzen, damit uns die absehbaren Probleme nicht über den Kopf wachsen. Und dabei nicht zu übersehen, dass aus den Problemen auch Chancen entwickelt werden können. Das ist in diesem Land zu bewältigen, aber von selbst geschieht es sicher nicht.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

DER AUTOR


Prof. Helmut Kramer
(* 1939 in Bregenz) war von 1981 bis 2005 Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo); ab 1990 Honorarprofessor an der Universität Wien; von 2005 bis 2007 war er Rektor der Donau-Universität Krems; derzeit Vorsitzender der Österreichischen Plattform für Interdisziplinäre Alternsfragen. [ Clemens Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2014)

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