Kein nachhaltiger Frieden, solange Putin schürt

Was beim Konflikt im Osten der Ukraine alles auf dem Spiel steht.

Am 16. September haben das europäische und das ukrainische Parlament mit jeweils überwiegenden Mehrheiten das Assoziierungsabkommen synchron ratifiziert. Die ukrainische Zivilgesellschaft sieht darin eine Chance auf die Modernisierung ihres Landes – sowohl die wirtschaftliche als auch die gesellschaftlich-institutionelle, Stichwort: Demokratie.

Ein demokratisches Land an seiner unmittelbaren Grenze aber wird vom russischen Präsidenten Wladimir Putin als Gefahr für sein Regime empfunden. Als Putins Marionette in Kiew, Viktor Janukowitsch, von den Menschen gestürzt wurde, ging der Herrscher im Kreml zur unmittelbaren Aggression gegen die Ukraine über: medial, wirtschaftlich, politisch und militärisch. Ob dies als hybrider Krieg oder anderswie bezeichnet wird, ändert nichts an der Tatsache, dass es ein Krieg ist.

Die internationalen Institutionen haben angesichts der russischen Aggression versagt. Während die Ukraine jede Option willkommen heißt, die Frieden bringen könnte, jedoch ohne auf ihre Integrität und Souveränität zu verzichten, nützt Putin jede sich bietende Gelegenheit zur weiteren Schwächung der Ukraine.

Frieden durch Respekt

Solange Russland seine Truppen samt Waffen nicht komplett aus der Ukraine abzieht und die Ukraine nicht als ein souveränes Land akzeptiert, kann es keinen nachhaltigen Frieden geben. Der gegenseitige Respekt kann einen solchen Frieden bringen. Wenn aber Erpressung, Drohung und Mord als Instrumente der Politik stillschweigend geduldet werden, bekommen wir sehr bald neue Gulags.

Was in Donezk, Lugansk und auf der Krim geschieht, ist mehr als nur „tief beunruhigend“. In den von russischen Militärs und Separatisten besetzten Landstrichen des ukrainischen Ostens werden Menschen gedemütigt, verprügelt, gefoltert, enteignet, umgebracht. Der Umgang der russischen Führung mit den eigenen in der Ukraine gefallenen Soldaten, das Ruinieren der lokalen Infrastruktur in den besetzten Gebieten – insbesondere der Wasser-, Energie- und medizinischen Versorgung – und das Beschießen von Wohnvierteln durch die Separatisten zeigen, dass für Putin Menschen nichts wert sind.

Schlimme Zeiten auf der Krim

Die von den Medien angesichts der Ereignisse in der Ostukraine vernachlässigte Krim erlebt indessen so schlimme Zeiten, wie sie seit der Deportation der Krimtataren durch Stalin nicht mehr da waren. Was als grober Verstoß gegen das internationale Recht begonnen hat, wächst sich zunehmend zu einer Katastrophe aus.

Die Krimtataren sowie alle, die nicht damit einverstanden sind, was auf der Halbinsel abläuft, werden von der Justiz verfolgt, von „Unbekannten“ überfallen und misshandelt. Inzwischen wird ihnen mit Deportation gedroht. Meinungs- und Medienfreiheit ist passé. Am Parlament in Simferopol hängt anstelle der in drei Sprachen ausgeführten Beschriftungen nur noch eine – in Russisch.

Was im Jahr 1954 wirklich geschehen war, ist genauestens protokolliert. Dass die entsprechenden Protokolle seit zehn Jahren nicht mehr zugänglich sind, deutet indirekt darauf hin, dass die Krim-Annexion seit Langem geplant war.

Dabei war die Krim-Übergabe kein Geschenk von Nikita Chruschtschow an die Ukraine. Die Übergabe wurde durch die obersten Sowjets Russlands, der Ukraine und der damaligen Sowjetunion mit Einhaltung der dazu notwendigen Prozeduren vollzogen. Im Gegenzug erhielt die Russische Föderation ein ukrainisches Gebiet um Tahanrih (Russisch Taganrog) von der Größe der Krim-Halbinsel.

Tymofiy Havryliv (* 1971 in Iwano-Frankiwsk) ist Schriftsteller. Übersetzer, Blogger und Literaturtheoretiker.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.