Fluktuationen in der politischen Landschaft

Die ÖVP verspürt nach dem Wechsel an der Spitze einen gewissen Aufwind, die SPÖ plagen eine Menge Baustellen. Bei den Oppositionsparteien hatten zuletzt nur die Grünen einen Grund, optimistisch in die Zukunft zu blicken.

Die ÖVP hat sich trotz der Verluste in Vorarlberg wieder etwas erfangen. Was nicht nur mit der – gerade auch innerparteilichen – Erleichterung über den jüngst erfolgten Wechsel an der Parteispitze zu tun hat, sondern auch mit der Wiederentdeckung inhaltlicher und professioneller Qualitäten.

Die Volkspartei hatte seit der Regierungsbildung im Vorjahr einen beträchtlichen Abbau in ihrer Kernkompetenz Wirtschafts- und Finanzpolitik hinnehmen müssen – symbolisiert durch die damalige Besetzung politischer Spitzenpositionen im Finanzministerium durch drei Personen, die parteiübergreifend den Eindruck von finanz- und wirtschaftspolitischer Ahnungslosigkeit vermittelten. Die ÖVP hatte sich selbst zum Sprachrohr einer Handvoll von Landeshauptleuten degradiert und hatte auf Dinge, die sie – ob nun berechtigt oder unberechtigt – nicht wollte, mit einem stereotypen Njet reagiert.

Die Chance des Neuanfangs

Nicht zuletzt hat der neue Finanzminister, Hans Jörg Schelling, offensichtlich erkannt, dass man nicht glaubwürdig über Reformen und Einsparungen reden kann, wenn man diese nur in – gleichwohl notwendigen – Langzeitprojekten à la Pensionen und im Zuständigkeitsbereich der SPÖ (Bundesbahnen) ortet, nicht aber bei einem zentralen Strukturproblem wie dem Bund-Länder-Verhältnis und den damit verbundenen Finanzströmen (bzw. dem Überblick und der Kontrolle derselben). Natürlich ist ein Neuanfang zunächst einmal nur ein solcher, aber er bietet eben doch auch eine Chance, wieder etwas festeren Boden unter den Füßen zu bekommen.

Der einen Freud ist hier der anderen Leid – nicht zuletzt des Koalitionspartners, dessen Mann- beziehungsweise Frauschaft im Direktvergleich nicht sonderlich überzeugend aussieht. Die SPÖ hat sicherheitshalber die Steuerpolitik gleich an ÖGB/AK ausgelagert, in ihrem Amtsbereich finden sich aber noch jede Menge Baustellen (vom Bundesheer bis zur Bildung).

Was den letzteren Punkt betrifft, kann man übrigens der derzeitigen Unterrichtsministerin, Gabriele Heinisch-Hosek, und den angehenden Lehrern an der Universität Innsbruck nur nahelegen, die Lehrveranstaltung der früheren Unterrichtsministerin Claudia Schmied mit dem Titel „Schule neu denken“ tunlichst zu meiden. Es sei denn, man möchte lernen, wie man es eher nicht machen sollte.

Nicht unerwähnt sollte auch bleiben, dass die SPÖ gerade auf Landes- und Gemeindeebene ein Lehrstück hingelegt hat, wie man sich der eigenen Verantwortung durch gefinkelte Aktionen und teilweise faule Ausreden entziehen möchte. Wenn nicht der Wiener Landeshauptmann, Michael Häupl, in letzter Minute seinem früheren Wohnbaustadtrat, der jetzt im Bundeskanzleramt amtiert, zu Hilfe geeilt wäre, wäre die Blamage vollkommen gewesen.

Flucht in die Außenpolitik

Werner Faymann, schon immer mit einem feinen Gehör und einer offenen Hand für PR ausgestattet, ist diese Situation nicht verborgen geblieben. Er hat deshalb zu einem bewährten Mittel gegriffen: der Pseudo-Außenpolitik. Also rasch in den Flieger und zu einem Kurzbesuch beim ukrainischen Präsidenten rauschen. Für die Darstellung dieses epochalen Ereignisses dürfen wir des Kanzlers Hausblatt „Heute“ vom 2.Oktober zitieren: „Im 15-minütigen Vieraugengespräch betonte Faymann, dass eine militärische Lösung vermieden werden müsse, warb für den Friedensplan der EU und regte die Neutralität als Modell an.“

Immerhin: „Gemeinsam mit heimischen Tourismusunternehmen werden 200 ostukrainische Kinder zum Winterurlaub nach Österreich eingeladen.“ Mit Ausnahme des letzten Punktes dürften sich der Informationswert für und die Begeisterung von Gastgeber Petro Poroschenko in Grenzen gehalten haben. Die Neutralität wird die Ukraine vielleicht wirklich bekommen. Aber wenn, dann sicher nicht dank der Überzeugungskraft des österreichischen Bundeskanzlers, sondern weil dem Land kein anderer Ausweg bleibt.

Außerdem hat sich Österreich als Vermittlungsinstanz im Russland:Ukraine-Konflikt bisher nicht gerade ausgezeichnet. Aber Faymann hat (wie schon vor ihm wiederholt auch Bundespräsident Heinz Fischer) ein wenig Pseudo-Außenpolitik am Außenminister vorbei betrieben, die österreichische Befindlichkeiten honoriert und einen – wenn auch nicht eben billigen – Fototermin lukriert.

TS, Neos: Sichtbare Schwächen

Auch für das Team Stronach und die Neos steht das Leid im Vordergrund, weil die eigenen Schwächen immer besser sichtbar werden. Beide hatten sich wirtschaftsliberal positioniert: die Stronachianer garniert mit ein paar sozialpopulistischen Akzenten; die Neos mit einer verschwommenen Position, wenn es wirklich Ernst wurde (Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, Freihandelsabkommen). Ansonst profitierten die Neos zu einem Gutteil vom damaligen Ausrinnprozess der ÖVP.

Für das Team Stronach werden „Mehr Fleiß muss sich wieder lohnen“ und „Wir stehen treu zu den Werten unseres Gründungsvaters“ (was umso leichter fällt, als ohnehin kaum jemand offen für Lügen, Intransparenz und Unfairness eintreten wird) nicht zum Überleben ausreichen, auch nicht in der Steiermark. Und die Neos werden lernen müssen, dass – ist der Neuigkeitsbonus einmal weg – für die Mühen der politischen Ebene mehr personelle und inhaltliche Substanz notwendig sind und weniger das Schönreden von Wahlergebnissen, die weit unter den eigenen Erwartungen liegen.

Grüne Diskrepanzen

Die Grünen freuen sich über einen satten Stimmenzuwachs in Vorarlberg und den Einzug in eine weitere Landesregierung. Was bei ihnen – und zwar gerade in Westösterreich, wo sie bisher nicht primär als neue Linkspartei à la Wien in Erscheinung treten – aber zunehmend ins Auge fällt, ist die Diskrepanz zwischen den hohen moralischen Anforderungen, die sie gerade auch an die anderen Parteien stellen und den Ausflüchten, wenn man – siehe Unterbringung von Flüchtlingen in Kärnten und Westösterreich – im Ernstfall auch nicht sehr viel weiterbringt.

Bleibt die FPÖ. Die konnte sich lange in manchen guten Umfragewerten aalen. In der Realität bleibt H.-C. Strache nach wie vor hinter den Bestwerten zu Jörg Haiders Zeiten zurück. Und manchmal, wie zuletzt in Vorarlberg, setzt es auch ein Minus – wenn auch auf „hohem Niveau“; ein Spruch den man bisher eher von anderen Parteien gewohnt ist.

Sollte das vielleicht damit zusammenhängen, dass – wenn es in Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt kälter zu werden beginnt – viele Wähler doch eher nach kompetenten Akteuren Umschau halten; speziell dann, wenn solche wieder auf der Bühne erscheinen?

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR




Peter A. Ulram
ist
Dozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Geschäftsführer von Ecoquest.
Ecoquest ist ein Institut für Markt- und Meinungsforschung, Analyse und Consulting in den Bereichen Wirtschaft, Einzelunternehmen, Politik, Soziales und öffentlicher Sektor. [ Clemens Fabry ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2014)

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