Der nukleare Präventivschlag und die Weltkatastrophe

Israelische Stimmen fordern den Einsatz der Atombombe gegen den Iran. Die Folgen wären fürchterlich: für den Iran, für Israel und die Welt.

Die gegenwärtige Diskussion über das Nuklearprogramm der Islamischen Republik ist um eine beunruhigende Facette reicher, nachdem israelische Stimmen wie etwa der Historiker Benny Morris einen nuklearen Schlag zur Zerstörung iranischer Nukleareinrichtungen fordern. Abgesehen von der Unverhältnismäßigkeit eines solchen Angriffs gegen ein Programm, das noch weit von einer einsatzfähigen und transportierbaren Nuklearwaffe entfernt ist, zeugt diese Forderung von fahrlässiger Kurzsichtigkeit und fundamentalem Unverständnis der fürchterlichen Konsequenzen eines nuklearen Angriffs, die nicht zuletzt auch Israel treffen würden.

Ein nuklearer Angriff gegen die verschiedenen Komponenten des iranischen Nuklearprogramms müsste eine Vielzahl von Zielen umfassen, die über das gesamte Territorium der Islamischen Republik verteilt sind. Nachdem sich diese Einrichtungen – wie etwa die Urankonvertierungsanlage in Isfahan oder die nuklearen Forschungseinrichtungen in Teheran – zum Teil in der Nähe oder inmitten von Ballungszentren befinden, würde ein Nuklearangriff katastrophale Folgen für die Zivilbevölkerung in den betroffenen Regionen nach sich ziehen. Ein Nuklearangriff ist zudem kein Garant für einen Erfolg im Sinne der endgültigen Zerstörung des iranischen Nuklearprogrammes – das Wissen wäre weiterhin vorhanden, versteckte Anlagen könnten den Angriff überdauern, und die Führung Irans wäre nach der Erfahrung eines Nuklearschlags entschlossener denn je, eine Abschreckungskapazität zu entwickeln, auch wenn das Programm um Jahre oder Jahrzehnte zurückgeworfen wäre.

Anschläge gegen Israels Atomrreaktoren

Wie im Fall eines konventionellen Militärschlages sähe man sich mit einer Bevölkerung konfrontiert, deren vorherige Affinität für den Westen durch einen auf Generationen festgesetzten Hass gegen die westliche Welt ersetzt werden würde. Sollte die Führung der Islamischen Republik eliminiert werden, würde das Land in chaotische Zustände abgleiten. In jedem Fall wäre Irans Förderung fossiler Brennstoffe betroffen, deren Drosselung oder Aussetzen den Weltmarkt weiter belasten würde.

Mögliche Schäden, die Israel nach einem nuklearen Erstschlag gegen Iran erleiden könnte, wären derart beträchtlich, dass sie jeglichen Nutzen in Frage stellen. Hierbei sei etwa auf die Möglichkeit asymmetrischer Vergeltungsschläge durch Iran oder nicht-staatliche Akteure wie die Hisbollah verwiesen. Diese könnten sich etwa gegen israelische Nuklearanlagen wie den Schwerwasserreaktor in Dimona richten, dessen Zerstörung sich nachhaltig negativ auf den Lebens- und Wirtschaftsraum Israel auswirken würde.

Die Reaktionen der muslimischen Welt sind in ihrer Dimension nicht abschätzbar, jedoch würden mit höchster Wahrscheinlichkeit alle zaghaften Versuche der Annäherung und Entspannung gekappt werden. Selbst wenn sich die herrschenden Eliten zu pragmatischem Verhalten gegenüber Israel durchringen sollten, wäre der Druck der Straße enorm.

Für die nukleare Nichtverbreitung wäre ein präventiver Nuklearschlag gegen Iran katastrophal. Die Botschaft eines solchen Schlages wäre klar und würde jene des Regimewechsels im Irak unterfüttern: Ein Staat kann sich nur mit einer robusten Nuklearbewaffnung gegen externe Interventionen zu Wehr setzen. Der Bruch des mehr als 60 Jahre anhaltenden Tabus gegen den Einsatz von Nuklearwaffen würde – insbesondere in der konfliktreichen Nachbarschaft Israels – eine Proliferationskaskade in Bewegung setzen, die wiederum israelische Sicherheitsinteressen beeinträchtigen könnte. Eine weitere Lehre, die Staaten aus einem Nuklearangriff gegen den Iran ziehen würden, wäre die Notwendigkeit noch größerer Mühen, um (militärische) Nuklearanlagen vor Entdeckung zu schützen.

Ein Iran nach dem Einsatz der Bombe

Das Nuklearprogramm der islamischen Republik Iran ist in einem Stadium, das keinen konventionellen, schon gar nicht einen nuklearen Schlag rechtfertigt. Nicht eskalierende Drohungen, die eine unmittelbare Gefährdung suggerieren (sollen), sind das Gebot der Stunde, sondern das Ausschöpfen diplomatischer, nicht-militärischer Möglichkeiten zur Lösung des Atomkonfliktes. Jedenfalls wäre ein Iran nach dem Einsatz einer Atombombe schlimmer als ein Iran im Besitz einer solchen.

Dr. Martin Senn ist Mitarbeiter des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck und Mitglied der International Security Research Group (ISRG).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2008)

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