Warum ein novelliertes Islamgesetz notwendig ist

Muss man sich vor weltweiter "religiöser Aufrüstung" fürchten? Islamgesetz und IS-Terror heizen die Kontroversen an.

Zu den unbezweifelten Vorstellungen der Verächter der Religion gehört, dass alle Religionen eigentlich gleich sind. Und dass sie im Zweifel alle gefährlich, weil inhärent gewalttätig seien. Das gelte vor allem für die sogenannten monotheistischen, also abrahamitischen Religionen, womit Judentum, Christentum und Islam gemeint sind. Manche sehen sogar eine „religiöse Aufrüstung“ rund um die Welt, an der „Imame wie Päpste“ gleichermaßen beteiligt seien. Nur Papst Franziskus wird gnädigerweise als „ziemlich ungefährlich“ ausgenommen.

Die Beleseneren unter den Religionsverächtern finden ihre Meinung beim deutschen Ägyptologen Jan Assmann und seinem Buch „Moses der Ägypter“ bestätigt. Moses habe die Unterscheidung von wahr und unwahr in der Religion eingeführt und damit die Gläubigen von Ungläubigen, den Heiden, getrennt, behauptet Assmann. Dadurch habe er eine „Gegenreligion“ zu dem gegenüber Wahrheitsansprüchen indifferenten und interkulturell anpassungsfähigen Polytheismus der Antike etabliert. Dass auch der Polytheismus aggressiv sein kann, zeigt freilich der Hinduismus, der Moslems und Christen gleichermaßen verfolgt.
Wenn alle Religionen angeblich gleich sind, ist es dann begründbar, für eine Religion eigene Regeln im staatlichen Recht aufzustellen, die sich von denen für andere Religionsgemeinschaften unterscheiden und vielleicht sogar „strenger“ sind? Ist jede Differenzierung automatisch eine Diskriminierung?

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) als offizieller Gesprächspartner der Bundesregierung hat jedenfalls nie etwas dagegen gehabt, dass für die in Österreich lebenden Muslime ein eigenes Gesetz gilt, nämlich das Islamgesetz aus dem Jahr 1912. Die Glaubensgemeinschaft drängt die Regierung sogar seit Langem, eine Neufassung dieses Gesetzes zu erlassen. Sie und ihr Vorsitzender waren denn auch in die Arbeiten am Entwurf für dieses künftige Gesetz ständig einbezogen.

Nur bei der letzten Sitzung ließ sich Fuat Sanaç vertreten, weil er auf Wallfahrt in Mekka war. Er konnte also keineswegs überrascht davon sein, was in dem Entwurf steht, der während seiner Abwesenheit veröffentlicht wurde.

Die Wallfahrt nach Mekka hat im Islam eine besondere Symbolkraft und eine andere rituelle Bedeutung als etwa eine Fußwanderung nach Mariazell. Sie eignet sich daher gut für eine Dolchstoßlegende. Denn unterdessen war an dem Entwurf Kritik auch aus islamischen Kreisen laut geworden, die Sanaç nicht ignorieren kann. Man wird sehen, welche Einwände oder Anregungen die IGGÖ zu einem Gesetz, an dessen Zustandekommen sie weitgehend mitbeteiligt war, im Begutachtungsverfahren letztendlich wirklich einbringen wird.

Es gibt substanzielle Kritikpunkte an dem Gesetzesentwurf: Der erste ist das Alleinvertretungsrecht der IGGÖ für alle Muslime. Das ist für Sanaç ambivalent. Einerseits gibt es ihm und seiner Organisation einen Einfluss, den sie bisher im vielgestaltigen und dezentral in Vereinen und Moscheegemeinschaften organisierten Islam nicht hatten. Das wird ihm ganz recht sein. Anderseits muss er dann auch Verantwortung übernehmen und kann sich nicht darauf ausreden, er habe ja auf die einzelnen Vereine keinen Einfluss.

Streitpunkt Finanzierung

Ein zweiter, sehr gewichtiger Einwand gegen den Entwurf betrifft das Verbot der Finanzierung von moslemischen Vereinen aus dem Ausland. Es ist ein unbestrittener Grundsatz des österreichischen Religionsrechts, dass eine Religionsgemeinschaft ihre inneren Angelegenheiten, einschließlich der Vermögensverwaltung, selbst regeln darf. Auch katholische Diözesen rund um die Welt bekommen Geld aus dem Ausland.

Dazu in Konkurrenz steht das ebenso berechtigte Interesse der Republik, dass arabische Golfstaaten oder die Türkei nicht über Geldzuflüsse in hohem Ausmaß moslemische Einrichtungen in Österreich dirigieren, dadurch unverhältnismäßigen Einfluss nehmen und die Etablierung einer moslemischen Parallelgesellschaft finanzieren. Die Lösung wird wohl darin liegen, dass man bestimmte Grenzen einzieht. Unbestritten sollte allerdings sein, dass Angestellte der türkischen Regierung in Österreich nicht religiöse Funktionen ausüben dürfen.

Islam und Pluralismus

An den Kern des moslemischen Selbstverständnisses geht das Erfordernis im Gesetz, dass die Glaubensgemeinschaft ihre Lehre und die Glaubensquellen in deutscher Sprache darlegen muss. Das haben die Aleviten, für die das Gesetz auch gilt, bereits gemacht, für die IGGÖ steht es noch aus. Es muss geklärt sein, wie sich die Lehre des Islam, den die IGGÖ vertritt, von der der Aleviten und der der Schiiten unterscheidet, die als Bekenntnisgemeinschaft registriert sind.

Das klingt einfacher als es ist. Das größte Problem ist dabei gar nicht die Abgrenzung zu anderen islamischen Denominationen, die wird sich mit Nachhilfe durch die österreichischen Behörden finden lassen. Viel schwieriger wird die Frage zu beantworten sein: Wie definiert sich der Islam in einem pluralistischen Staat, in dem er seinen Geltungsanspruch mit anderen teilen muss und wo er nicht selbstverständlich Gesellschaft, Kultur und Staat prägt?

Terror im Namen der Religion

Und was bedeutet es, wenn die Muslime lieber nach der Scharia leben möchten als nach den österreichischen Gesetzen, wie der Wiener islamische Religionspädagoge Ednan Aslan behauptet?

Die Diskussion des Islamgesetzes wird aber in den Schatten gestellt durch die täglichen Schreckensnachrichten aus Syrien und dem Irak. Beides, der Terror im Namen des Islam und die Definition der Stellung dieser Religion in Österreich, bringen aber eine neue Qualität der Auseinandersetzung.

Nicht länger werden die Muslime jede kritische Anfrage an sie und ihre Religion als Ausdruck von Islamophobie denunzieren können. Wenn sich unter den heutigen Umständen jemand vor dem Islam fürchtet, ist das immerhin nicht ganz unverständlich.

Verabschieden werden sich die Muslime auch von der Opferrolle müssen, die sie so gern spielen. Es ist ein frivoler Unsinn, dass uns manche nicht-moslemischen Islam-Forscher einreden wollen, junge Muslime hätten eigentlich gar keine andere Wahl, als aus der europäischen Welt, die sie angeblich so ungerecht behandelt, an „die Kriegsfronten“ zu ziehen.

Nutzlose, überflüssige Appelle

Die ständigen Appelle, islamische Organisationen und Einzelpersonen sollten sich doch von den Untaten ihrer Glaubensgenossen vom IS distanzieren, sind nutzlos und überflüssig. Wenn jemandem das nicht von selbst einfällt, und er dazu angebettelt und genötigt werden muss, ist es wertlos und eine Pflichtübung, damit der andere endlich Ruhe gibt.

Der politische Islam und ein islamischer Staat ist die Leitvorstellung auch sogenannter gemäßigter Muslime. Da kann man schwer erwarten, dass sie sich davon distanzieren. Man sollte deshalb damit aufhören, die Moslems zu einem „besseren“ Islam erziehen zu wollen. Das Islamgesetz muss als Maßstab genügen. Deshalb ist es auch notwendig.

DER AUTOR

Hans Winkler war langjähriger
Leiter der Wiener Redaktion der
„Kleinen Zeitung“.

Debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2014)

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