Chronologie eines Desasters

Mit der Kapitulation bei der Erbschaftssteuer im Frühjahr 2007 hat die SPÖ-Führung eine negative Kettenreaktion ausgelöst. Die am 6. Juni beschlossene weitere Begünstigung der Privatstiftungen ist in einer Reihe von pfadabhängigen Niederlagen der bis dato letzte Rückschlag für die Sozialdemokratie.

Die Sager über das „Gesudere“ und die Arbeitszeit der Abgeordneten werden dem Bundeskanzler als schwere Patzer vorgeworfen. Tatsächlich sind beide Aussagen für die soziale Realität der Bevölkerung irrelevant. Es ist vielmehr so, dass Situationen, in denen Politiker/innen Emotionen zeigen oder einen deplatzierten Schmäh reißen, etwas Menschlichkeit durchblitzen lassen. Wer sich über kleine verbale Ausrutscher beschwert, darf sich nicht wundern, wenn immer mehr Verantwortungsträger/innen wie mediengerecht gecoachte Politautomaten wirken. Würde Gusenbauer durch den Typus „smarter, aber glatter Aal“ ersetzt, stieße dieselbe unbefriedigende Politik auf wesentlich geringeren Widerstand.

Das Niveau der öffentlichen Auseinandersetzung verschleiert die wirklich relevanten Probleme, ein Beispiel ist dabei repräsentativ für viele andere Politikfelder: Die Erbschaftssteuer wurde 2007 kampflos aufgegeben, obwohl die Fakten für die SPÖ aufgelegt waren. In Österreich macht der Anteil der Vermögenssteuern am gesamten Steueraufkommen rund ein Prozent aus. Im Schnitt der EU-15 sind es über fünf, in den USA sogar zwölf Prozent. Laut der „Presse“ vom 20. März 2007 wurde die Hälfte des Erbschaftssteueraufkommens von den obersten 1,3% der Erbfälle bezahlt, zwei Drittel aller Erben/innen zahlten hingegen im Schnitt nur 181 Euro.

Nur wer sich bemüht, darf scheitern

Die treffsicherste aller Reichensteuern wurde ohne SP-Widerstand abgeschafft. Die Auseinandersetzung wurde nicht geführt, weil sie als chancenlos eingeschätzt wurde, schließlich hätte die ÖVP in bequemer Passivität auf ein Auslaufen der Erbschaftssteuer hinarbeiten können. „Eine Auseinandersetzung könne nur geführt werden, wenn es Erfolgschancen gibt“, argumentierten damals die SP-Regierungsmitglieder.

Mit der Kapitulation bei der Erbschaftssteuer wurde eine Kettenreaktion ausgelöst, deren Folgen weitreichend sind: Am ersten August 2008 fällt mit der Erbschaftssteuer die Schenkungssteuer, wodurch es Unternehmer/innen ermöglicht wird, Anteile steuerfrei an Familienmitglieder zu verschenken und somit bis zu 70% Steuer einzusparen. Des Weiteren fällt mit der Erbschaftssteuer die Eingangssteuer für Stiftungen, jener Konstruktion, wo die Reichen ihr Vermögen steuerschonend parken. Um diese ohnehin bescheidene Fünf-Prozent-Steuer zukünftig zu erhalten, verlangten Stiftungslobby und ÖVP absurde Zugeständnisse, etwa die Rückzahlung der in den letzten 15 Jahren bezahlten Eingangssteuer in der Höhe von 400 Mio. Euro. Diese blanke Provokation von Seiten der Volkspartei konnte im letzten Moment durch eine in ihrer technischen Umsetzung weniger freche Variante ersetzt werden. Die Rückzahlung wurde verhindert, dafür wird die Eingangssteuer für Stiftungen auf 2,5% halbiert. Der Finanzrechtler Werner Doralt bezeichnete die ÖVP in diesem Zusammenhang treffend als „Selbstbedienungsladen der Superreichen“.

Das sozialwissenschaftliche Konzept der Pfadabhängigkeit besagt, dass ein einmal eingeschlagener Weg nur noch schwer verlassen werden kann, dass sich Handlungsspielräume im Zeitverlauf mehr und mehr einschränken. Mit der Kapitulation bei der Erbschaftssteuer wurde ein Pfad eingeschlagen, den zu verlassen die aktuelle SPÖ-Spitze offenkundig nicht mehr in der Lage ist. Nun rächt es sich, die Auseinandersetzung um diese Steuer vor einem Jahr gar nicht geführt zu haben. Wie sollen komplizierte Folgeprobleme im Bereich der Schenkungssteuer und der Stiftungen öffentlich kommuniziert werden, wenn damals schon die einleuchtenden Fakten der Erbschaftssteuer nicht vermittelt wurden? Gebe ich die Erbschaftssteuer kampflos auf, stehen meine Chancen für die Reparatur der Schenkungssteuer und die Abwehr von Stiftungsbegehrlichkeiten noch schlechter.

Vor jeder Auseinandersetzung davonzulaufen garantiert den Misserfolg. Was die Medienprofis des Bundeskanzlers nicht wissen: Wenn man sich bemüht, darf man auch scheitern. Die Auseinandersetzung um die Erbschaftssteuer wäre voraussichtlich verloren worden, aber bei entsprechendem Engagement hätte die SPÖ in punkto Glaubwürdigkeit in Verteilungsfragen deutlich profitiert. Wenn der Sachverhalt konsequent und selbstbewusst dargelegt wird, ist es überdies möglich, der Bevölkerung zu vermitteln, dass sich der Erhalt einer Steuer für 95% der Menschen nur positiv auswirken kann. Die SPÖ hätte trotz einer eventuellen Niederlage in der Sache einen Pfad eingeschlagen, der eine bessere Ausgangslage für künftige Konfrontationen garantiert hätte.

Ein selbstverschuldeter Teufelskreis

Stattdessen hat man sich in einen Teufelskreis gestürzt: Ein Vorhaben wird aufgeben, weil die öffentliche Auseinandersetzung als aussichtslos eingeschätzt wird. Die Bevölkerung vermisst daraufhin eine klare Linie, und die Glaubwürdigkeit schmilzt dahin. Beim nächsten Vorhaben wirft die SPÖ-Spitze aus der Position der Schwäche gleich wieder das Handtuch, weil die Wahrscheinlichkeit, diesmal die Bevölkerung zu überzeugen, als noch geringer eingeschätzt wird. Es ist eine Abwärtsspirale, bei der sich der eigene Handlungsspielraum immer stärker einschränkt. Auch bei den Themen Migration oder EU befindet sich die SPÖ in einer ähnlich misslichen Defensivposition. Die Sozialdemokratie muss diesen Teufelskreis durchbrechen und den Pfad der Defensive verlassen. Ob die aktuelle Führung dazu noch in der Lage ist, wird von vielen – wohl zu Recht – immer stärker bezweifelt.

Nikolaus Kowall ist Vorsitzender der Sektion 8 der SPÖ Alsergrund (www.sektionacht.at).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2008)

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