Die Neue Inquisition

Fanatiker und Tyrannen machen die UNO zur Plattform für Hassexplosionen gegen den Westen: Warum Europa die „Durban Review Conference“ in Genf boykottieren muss.

Im September 2001 versammelte sich in der südafrikanischen Stadt Durban die dritte Konferenz der Vereinten Nationen gegen den Rassismus, die die öffentliche Anerkennung von Sklaverei und Kolonialismus als Verbrechen zum Ziel hatte. Die ganze Menschheit sollte nach dem Wunsch der Veranstalter der Geschichte ins Antlitz blicken und mit Gelassenheit ihre Chronik schreiben. Schöne Absichten, aber sie führten zu einer Atmosphäre der Opferkonkurrenz und der Lynchjustiz gegenüber israelischen Organisationen und allen Personen, die man verdächtigte, Jude zu sein. Das Vorhaben, durch eine Art kollektive Therapie zu einer Heilung der Vergangenheit und neuen Menschenrechtsstandards zu gelangen, führte nur zu einer Explosion des Hasses, die durch die Attentate des 11. September, die einige Tage später verübt wurden, allerdings schnell in Vergessenheit geriet.

Eine Komödie der Verdammten

Erinnern wir uns also: Gegen den Willen der Veranstalter wurde Durban zu einer Arena, in der man sich anschrie und die Komödie der Verdammten dieser Erde im Angesicht ihres weißen Eroberers neu aufführte. Durch den Mund ihrer Nachfahren verlangen die Toten nach Gerechtigkeit, denn der Schmerz und der Zorn sind noch da – „The pain and anger are still felt. The dead, through their descendants, cry out for justice“, hatte Kofi Annan am 31. August desselben Jahres gesagt; eine erstaunliche Ausdrucksweise für einen UN-Generalsekretär, eher ein Ruf nach Rache als Versöhnung.

Die Delegierten, besonders aus den arabisch-muslimischen Staaten, nahmen ihn auch so wahr und machten aus der Konferenz zusammen mit der afrikanischen Gruppe einen Ort antikolonialistischer Revanche. Der von Natur aus völkermörderische Westen sollte seine Verbrechen anerkennen, um Verzeihung bitten und den ehemals Unterdrückten symbolische und finanzielle Reparationen zahlen. Der Zorn kochte hoch und wurde von den Berichten über die von der israelischen Armee niedergeschlagene 2. Intifada noch angeheizt.

Man verdammte sogleich den Zionismus als gegenwärtige Form des Nazismus und der Apartheid, aber auch den „weißen Furor“, der „mit dem Menschenhandel, der Sklaverei und dem Kolonialismus in Afrika einen Holocaust nach dem anderen verursacht hat“. Israel sollte verschwinden, seine Politiker sollten vor einem internationalen Strafgericht ähnlich dem von Nürnberg verurteilt werden. Antisemitische Karikaturen machten die Runde, Exemplare von „Mein Kampf“ und der „Protokolle der Weisen von Zion“ wurden herumgereicht: Unter einem Hitler-Foto hieß es, Israel hätte niemals existiert und die Palästinenser hätten ihr Blut nicht vergießen müssen, wenn er gesiegt hätte. Einige Delegierte wurden physisch bedroht, man rief „Tod den Juden“. Die Farce erreichte ihren Gipfel, als Sudans Justizminister Reparationen für die Sklaverei forderte, während in seinem Land weiterhin schamlos Menschen versklavt werden. Als würde sich ein Kannibale plötzlich für Vegetarismus aussprechen.

Man könnte meinen, dass diese finstere Komödie der UNO zu denken gab. Aber man darf die Entschlossenheit der Diktaturen und Fundamentalisten nicht unterschätzen, die die UN-Menschenrechtskommission zur Plattform ihrer Forderungen machen. Für 20. bis 24. April 2009 ist in Genf die „Durban Review Conference“ angesetzt, ein Durban 2, das eine Wiederholung von Durban 1 verspricht.

Rassismus schon seit den Kreuzzügen

Seit sechs Jahren werden Berichte und Projekte formuliert, die das Schlimmste fürchten lassen. Am 14. September 2007 hielt Doudou Diene, der UN-Sonderberichterstatter für Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung, eine Rede vor den Vereinten Nationen in Genf. Darin beschuldigt er die westlichen Länder zum wiederholten Male, seit dem 11. September 2001 die perfidesten Formen der Islamophobie ins Werk zu setzen. Diese Islamophobie definiert er als einen Rassismus, der bereits auf die ersten Kontakte zwischen Islam und Christentum zurückgeht, besonders die Kreuzzüge und die spanische Reconquista. Zwar erwähnt er Antisemitismus, Christenfeindlichkeit und andere Formen religiöser Unterdrückung, doch der „antimuslimische Rassismus“ liegt ihm besonders am Herzen. In ganz Europa und den USA hätten sich Intellektuelle und Politiker aller Richtungen einer Reihe von Verfehlungen gegenüber der Religion des Propheten schuldig gemacht.

Da sind die Laizität, das „Verbot religiöser Zeichen an öffentlichen Schulen“, drohendes Verbot der Burka in öffentlichen Gebäuden Englands, Erklärungen gegen Schleier und Kopftuch. Diene glaubt, der „dogmatische Säkularismus“ werde benutzt, um die „Freiheit der Religion zu manipulieren“. Der Westen als „Stützpfeiler der Sklaverei und des Kolonialismus“ führe eine „Hetzkampagne gegen muslimische Intellektuelle“ an (er denkt vor allem an Tariq Ramadan), verfolge die Idee eines Huntingtonschen „Kampfs der Kulturen“.

Die Verfolgungen christlicher Minderheiten im Nahen und Mittleren Osten, Afrika und Indien sind dagegen seiner Meinung nach die bedauerliche Konsequenz der Missionsarbeit evangelikaler Gruppen aus Nordamerika, die ihre Religionsgenossen für ihre Bigotterie büßen lassen. Jede Kritik eines Dogmas, jede Infragestellung eines religiösen Glaubens sollte nach Diene einer rassistischen Beleidigung gleichgestellt und bestraft werden. Jesus, Moses, Mohammed werden so zu unberührbaren Ikonen, die gegen verbrecherische Attacken geschützt werden müssen. Sollte der Straftatbestand der Blasphemie, der von den Fundamentalisten der drei Monotheismen gefordert wird, tatsächlich wieder eingeführt werden?

Dieser Bericht wird von der Islamischen Konferenz und einer Mehrheit der Blockfreien-Bewegung, in der sich die Demokratien an den Fingern einer Hand abzählen lassen, heftig unterstützt. Denn Doudou Diene achtet darauf, den autoritären Regimes in Asien, Afrika und Lateinamerika Kritik zu ersparen. Seine Munition bewahrt er für die Staaten Europas und Nordamerikas auf, denen er regelrechte Pogrome gegen ihre Minderheiten unterstellt. Man wird auch nicht erstaunt sein, dass der Iran im April 2007 zum Vizepräsidenten, Syrien zum Berichterstatter der Abrüstungskommission ernannt wurden. Es wäre zum Kaputtlachen – wäre es nicht so tragisch!

UNO als Werkzeug der Unterdrückung

Kurz: Der Antirassismus ist in der UNO zur Ideologie der totalitären Bewegungen geworden, die ihn für ihre Zwecke benutzen. Diktaturen oder notorische Halbdiktaturen (Libyen, Pakistan, Iran, Saudi Arabien, Algerien; Kuba, Venezuela usw.) bemächtigen sich einer demokratischen Sprache und instrumentalisieren juristische Standards, um sie gegen die Demokratien in Stellung zu bringen. Eine Neue Inquisition etabliert sich, die den Begriff der „Verunglimpfung der Religion“ hochhält, um jeden Zweifel, besonders in islamischen Ländern, zu unterdrücken. Und das im Moment, wo sich Millionen Muslime, besonders in Europa, von Frömmelei und Fundamentalismus lösen wollen. Umkehrung der Werte: Der von den Despoten verfochtene Antirassismus stellt sich in den Dienst des Obskurantismus, der Unterdrückung der Frauen! Er soll genau jene Dinge rechtfertigen, gegen die er ursprünglich formuliert wurde, Unterdrückung, Vorurteile, Ungleichheit.

Die UNO wird in den Händen dieser Lobbys zu einem Instrument des Rückschritts in der Welt, als sei sie nicht ins Leben gerufen worden, um Recht, Frieden, menschliche Würde zu verbreiten.

Angesichts dieses Narrenstücks ist eine klare Haltung Europas gefordert: der Boykott. Wie ihn Kanada bereits beschlossen hat. Es ist nicht zu ertragen, dass die Lobbys der Fanatiker und Tyrannen im Jahre 2008 – wie einst in den 30er-Jahren – ausgerechnet jene Nationen vor das Tribunal der Geschichte ziehen, die das Recht, den Mehrparteienstaat und die Meinungsfreiheit anerkennen.

Pascal Bruckner, *1948, französischer Romancier und Essayist. 2008 erschien „Der Schuldkomplex: Vom Nutzen und Nachteil der Geschichte für Europa“ (Pantheon).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2008)

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