EU-Kommissare: Jean-Claude Junckers Machtdemonstration

Gastkommentar. Mauscheleien und Kompetenzmangel: Die neue Kommission.

Staunenden, nein, entsetzten Auges müssen wir zusehen, wie eine Horde Böcke zur Gärtnerkommune gemacht wird. Nicht nur, dass – wie wir es in Österreich gewohnt sind (gilt ja sicherlich auch für andere Länder) – die Parteien gegenseitige personelle Mauscheleien machen, werden auch für viele Kommissionspositionen Personen berufen, die in dieser und sicher auch in den meisten anderen Positionen absolut nichts zu suchen haben.

Zwar wurde die slowenische Kandidatin Alenka Bratušek abgewählt, aber die neue Kandidatin Violeta Bulc steht auch in der Kritik und wurde nun wohl nur deshalb „durchgewunken“, weil man Slowenien eine zweite Schmach ersparen will. Wenn man liest, dass z.B. Pierre Moscovici (F/SPE) von der EVP nicht infrage gestellt wird, wenn dafür die SPE Miguel Arias Cañete (E/EVP) auch nicht infrage stellt, so fragt man sich doch wohl zu Recht, warum denn ein solcher Deal nicht positiv gepolt sein könnte, also beide Parteien ihre fragwürdigen Kandidaten zugunsten jeweils geeigneterer zurückziehen, denn nicht der Deal an sich ist das Übel, sondern der Inhalt.

Auch die unerfahrene italienische Außendelegierte ist den europäischen Bürgern schwer zu erklären, denn gerade in Zeiten von äußerst kritischen außenpolitischen Situationen bedarf es einer sehr erfahrenen Persönlichkeit, um von den Verhandlungspartnern auch ernst genommen und respektiert zu werden. Und zum Überdruss noch der britische „Finanzexperte“ sowie der inzwischen etwas „gerupfte“ ungarische Kandidat.

Nicht erste Priorität

Aber das scheint nicht erste Priorität von Jean-Claude Juncker zu sein, ihm geht es wohl ausschließlich um eine Machtdemonstration. Schon bei der ohnehin zähen und nicht wirklich geliebten und eigentlich nicht wirklich sauber demokratischen Wahl von Juncker zum Präsidenten (denn wer konnte ihn denn tatsächlich wählen?), war ich sehr skeptisch, denn die Tatsache, dass Luxemburg unter der langjährigen Führung von Juncker teilweise extrem gegen EU-Grundprinzipien gehandelt hat, was „optimale“ Steuererleichterung für Großkonzerne und hunderte Banken betrifft, macht ihn selbst zum größten Bock innerhalb der Gärtnerkommune.

„Soll politisch nicht überleben“

Was wird man einst nach seinem Abgang über ihn sagen? So wie der italienische SPE-Mandatar Gianni Pitella über Barroso: „Wir wollen nicht, dass Barroso politisch überlebt“ – inklusive einer Liste seiner Fehltaten. Wäre das Projekt Europäische Union nicht so existenziell wichtig für Europa, vor allem in Konkurrenz zu den Vereinigten Staaten von Amerika (nach wie vor) und stark vermehrt zu Asien (speziell China und Indien), aber letztlich machtpolitisch auch gegenüber Russland, so könnte man schon zum EU-Gegner werden.

Aber das wäre dann wohl doch die falsche Entscheidung, weil aus Frust geboren. Wie die traurige Tradition in Österreich zeigt, werden leider auch auf europäischer Ebene Kandidaten nach allen Kriterien (Parteien, Ländern, persönlichen Beziehungen, Gender) ausgesucht, selten aber nach den eigentlich wichtigsten Kriterien: fachliche und moralische Befähigung.

Ich nehme an, dass Juncker „seinen“ Machiavelli gelesen hat, aber wohl nur dessen negative Tendenzen verinnerlicht hat, wie so viele andere auch, weswegen diesem Philosophen und Staatsdenker fast ausschließlich ein negatives Mäntelchen umgehängt wurde. Gehen wir noch 200 Jahre zurück. Soll man wie einst Dante nun auch über die EU sagen müssen: „Wer hier eintritt, lasse alle Hoffnung fahren?“ Nein, nein und abermals nein!

Der Autor war von 1976 bis 2009 Geschäftsführer der Publimedia (heute: Publicitas) und ist seither International Media Consultant.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2014)

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