Der Austrofaschismus – eine Milchmädchenrechnung!

Wie sich Robert Menasse an einer phänomenologischen Doppelpirouette versucht: Replik auf den Gastkommentar „Haider, der unerkannte Austrofaschist“, 17. Oktober.

Haider, der unerkannte Austrofaschist“, so die sensationelle Schlagzeile. Zum Glück haben wir Robert Menasse, und der erkennt unerbittlich sogar das, was mangels Vorhandenseins gar nicht zu erkennen ist.

Der Faschismus-Begriff werde in Österreich zweifach verwendet, behauptet er. Die einen erhöhen den Faschismus ins Dämonische, die anderen wittern ihn noch im Alltäglichsten. Zwischen Dämonisierung und Banalisierung gehe der Inhalt verloren, weil sich niemand mehr betroffen fühle. Stimmt, aber mir ist kein Diskurs bekannt, in dem ernst zu nehmende Leute die These aufgestellt hätten, Haider sei Faschist.

Vom Essayisten zum Demiurgen

Schon Hans-Henning Scharsach hat in „Haiders Kampf“ auf Haiders Modernität hingewiesen. Der familiäre Hintergrund samt daraus folgenden Prägungen ist seit Christa Zöchlings „Licht und Schatten einer Karriere“ bekannt. Jetzt will Menasse uns das als neue Erkenntnisse verkaufen. 1992 schrieb ich im „Wiener Journal“: „Zuallererst ist die FPÖ eine durch und durch moderne Partei... sie hat als Einzige verstanden, worin modernes Marketing besteht: die latenten Wünsche der Menschen in Kaufimpulse umzusetzen. Antiautoritäre Regelverstöße im Stile der Alt-68er gehören da ebenso dazu, wie das Anstreifen an der Ehre der SS... es ist eine unzulässige Vereinfachung... die FPÖ als Nazi-Partei abzutun. Sie setzt ,nur‘ bei den gleichen Ängsten und Gefühlen an, wie einst die Nazis. Aus der Blut-und-Boden-Ideologie wurde der Umweltschutz... Statt des Antisemitismus trägt man demonstrativ eine angeblich um die Inländer besorgte Haltung zur Schau. Und den militanten Antiparlamentarismus hat man durch Amokläufe gegen den Kammernstaat ersetzt.“

Ausgehend von seiner falschen Prämisse folgert Menasse, dass nur er das Phänomen Haider verstanden hat. Zwecks Beweises mutiert er vom Essayisten zum Demiurgen und schafft sich seinen eigenen Austrofaschismus als Rahmen, in den das von ihm konstruierte Bild millimetergenau passt. Denn was ist laut Menasse der Austrofaschismus? Eine Milchmädchenrechnung! Nationalsozialismus abzüglich einiger Kleinigkeiten wie Rassismus oder Vernichtungswille.

Weil Menasse selbst ahnt, auf welch wackeligen Stummelbeinchen diese Argumentation steht, schränkt er ein: programmatisch muss das nicht so sein, aber charakterlich laufe es darauf hinaus. Damit dieses Konstrukt funktioniert, müssen wir den Boden der politischen Analyse verlassen und uns ins Charakterfach begeben, bloß weil Menasse sich an einer phänomenologischen Doppelpirouette rückwärts mit eingedrehter Negation und Hegel'scher Rückwärts-auswärts-Landung versucht.

Dass niemand den Haider'schen Austrofaschismus erkannt hat, liegt nicht etwa an Menasses schwächelnder These, sondern daran, dass SPÖ, Grüne und die gesamte kritische Intelligenz (ausschließlich Menasse natürlich) einem falschen Faschismus-Begriff frönen. Was Menasse hier beweist, ist jedoch etwas völlig anderes: die Unbrauchbarkeit bereits verwendeter, festgelegter historischer Begriffe für die Bezeichnung gegenwärtiger politischer Strömungen. Subtrahieren wir vom Menasse'schen Austrofaschismus die Österreichliebe und rechnen die Ungarnliebe hinzu, landen wir bei den Pfeilkreuzlern. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann rechnen sie noch heute...

Haider als katholischer Pfarrer?

Menasse selbst verwirrt die Begriffe. Faschismus war ursprünglich nur die Bezeichnung für die Bewegung von Mussolini und wurde zu einer Art Gattungsbezeichnung für rechtsradikale Massenbewegungen. In diesem Sinn war der Nationalsozialismus eine Untermenge des Faschismus. Der Begriff des Austrofaschismus war von Anbeginn polemisch, da dem Regime eine wirksame Massenbasis fehlte. Außerdem unterschied sich der Austrofaschismus in einem wesentlichen Merkmal von anderen rechtsradikalen Bewegungen jener Zeit: Er stand in engem Bündnis mit der katholischen Kirche, weshalb er auch Klerikalfaschismus genannt wurde.

Mit gutem Grund unterschlägt Menasse diese Bezeichnung, da sie seine These des Haider'schen Austrofaschismus sofort als Unsinn decouvrieren würde. Denn bei all seinen Verkleidungen – die des katholischen Pfarrers hatte Haider nicht im Repertoire. Dass trotz pompös-katholischer Trauerfeier selbst im Tod noch ein wenig vom antiklerikalen 1848er durchschimmert, ist evident: In katholischen Kreisen gilt die Einäscherung bis heute als anrüchig.

Wenn schon Erbe, dann der SA

Der moderne Austrofaschismus eines Jörg Haider kann mit einer parlamentarischen Demokratie leben, so Menasse, da man die Verfassung jederzeit mit einer 2/3-Mehrheit brechen könne. Dieses juristisch falsche Argument wurde oft widerlegt, aber Menasse wiederholt es gebetsmühlenartig. Daher nochmals zum Mitdenken: Wenn die Verfassung es erlaubt, sie mit einer 2/3-Mehrheit zu ändern, kann der bloße Gebrauch dieses Rechts keinen Verfassungsbruch darstellen. Dass mit dieser Bestimmung Unfug getrieben wurde, ist eine andere Sache und hat mit Haider nichts zu tun. Der verfügte nämlich nie über eine solche Mehrheit!

Wenn man Menasses Argumentation ernst nimmt, stellt sich eher die Frage, wie dann die Sozialdemokratie einzuschätzen wäre! Als austrofaschistisch, weil sie gemeinsam mit der ÖVP solche Verfassungsänderungen durchgeführt hat? Hier verendet Menasses Theorie in der Lächerlichkeit. – Wenn schon Erbe, dann stand Haider mit seinem „linken“ Sozialprogramm in der Tradition der SA, des „linken“ Flügels der NSDAP. Der Begriff „Faschist“ greift, in welcher Ausformung immer, auch deshalb zu kurz, weil es Haider – außer bei seinem Begräbnis – an der mobilisierbaren Massenbasis gefehlt hat (siehe gescheiterte Volksbegehren). Haider stand in völkischer Tradition, der Austrofaschismus war ständestaatlich orientiert. Die Koalition mit der ÖVP war eine Mesalliance, denn die Kammern gehören zum Grundverständnis der ständestaatlichen ÖVP, deren Abschaffung zum Grundverständnis des völkischen Haiderismus. Haider beim Korneuburger Eid? Schwer vorstellbar!

Haider hat Schüssel nicht gebraucht

Menasse führt aus, dass es ein Fehler von SP und Grünen gewesen sei, den Austrofaschismus von Haider nicht zu verstehen und nur warnend „Nazi! Nazi!“ zu rufen, was „aber keinen seiner Wähler zum Umdenken bewegen konnte“. Hätten diese Parteien also über Menasses Erkenntnisse verfügt und „Austrofaschist! Austrofaschist!“ gerufen, den FPÖ-Wählern wäre es wie Schuppen von den Augen gefallen, massenhaftes Umdenken hätte eingesetzt, und der Spuk wäre vorbei gewesen.

Leider war dann Roberts Märchenstunde zu Ende. Das kommt davon, wenn man nur in Überbauphänomenen denkt. Haiders Aufstieg resultiert in erster Linie aus den Ängsten durch die globalen Änderungen seit 1989, für die den Politikern keine wirksamen Antworten eingefallen sind. Haider hat diese Ängste bedient, zu ihrem Abbau hat er nichts beigetragen – das war sein Erfolgsrezept. Haider hat Schüssel (und seinen „miefigen Austrofaschismus“) nicht gebraucht. Er hätte 2000 nur abwarten und wählen lassen müssen. Diese Gefahr hat Schüssel erkannt und gehandelt. Nicht um Österreich zu retten, sondern die ÖVP. Das ist ihm vorübergehend gelungen. Und im Gegensatz zu Menasses Einschätzung ist Schüssel mit seiner „Bändigung“ Haiders nicht an dessen politischer Größe gescheitert. Im Gegenteil: Haider war nicht in der Lage, stabile Mehrheiten zu sichern, professionelles Personal in die Ministerien zu schicken und einen klaren politischen Kurs einzuschlagen, während Schüssel die Linie (mitsamt all den „hidden agendas“) beinhart gehalten hat. Die „Bändigung“ Haiders durch Schüssel scheiterte am Dilettantismus von Haider und dessen Unfähigkeit, die eigenen, antiautoritären Impulse zu kontrollieren (siehe das Chaos von Knittelfeld).

Das essayistische Universum „Menasse“ ist offenbar ein quantenmechanisches. Erst wenn Menasse beobachtend auf die Teilchen seiner imaginierten Welt blickt, werden sie zu dem, wofür er sie hält.

Michael Amon lebt als freier Schriftsteller in Wien und Gmunden. Zuletzt erschien von ihm „1968 – Ein kurzes Lächeln im langen Mai“ (Molden). Bruno-Kreisky-Preisträger, Peter-Altenberg-Preis u.a.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2008)

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