Alleine ist auch der Mächtigste schwach

Atomare Abrüstung, Schließung von Guantánamo, Unterstützung des Kyoto-Protokolls... – was sich Europäer von der neuen US-Administration erwarten.

Ein amerikanisches Wahljahr erlebt seinen Höhepunkt. Eine Nation ist unterwegs – mit ihrem unverwechselbaren Mut zum Anpacken, die Zukunft zu denken und auch tiefe Krisen ohne Selbstmitleid zu überwinden.

Amerikanerinnen und Amerikaner stimmen ab. Die Wahl des 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten bedeutet eine Entscheidung mit großer Tragweite für die Menschen in aller Welt. Für Österreich, die Europäische Union und die internationale Staatengemeinschaft ist der Wechsel im Weißen Haus eine Gelegenheit, den transatlantischen Beziehungen neuen Schwung zu geben. Wir brauchen die richtige Balance zwischen den Erwartungen beider Seiten, gemeinsamen Interessen und den Aufgaben, die es gemeinsam zu lösen gilt.

Einige Fakten: Es gibt keine Volkswirtschaften, die enger miteinander verflochten sind als jene der Europäischen Union und die der Vereinigten Staaten. Wir stellen rund zehn Prozent der Weltbevölkerung, produzieren aber fast 60 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Der Anteil der EU und USA am globalen Handel beträgt zusammen zirka 40 Prozent, wir sind einander jeweils die wichtigsten Handelspartner und Investoren.

Die Administration unter Präsident Bush hat in dessen zweiter Amtsperiode die Notwendigkeit enger Zusammenarbeit angesichts globaler Herausforderungen und regionaler Spannungen erkannt: Etwa im Umgang mit der Krise in Georgien, wo die EU auch von den USA anerkannte globale Führung gezeigt hat.

Richtungweisend für enge inhaltliche Zusammenarbeit ist die vor kurzem formalisierte Beteiligung der USA an der Rechtsstaatlichkeitsmission der EU im Kosovo (EULEX) – die allererste US-Beteiligung an einer zivilen Mission im Rahmen der gemeinsamen EU-Außenpolitik.

Obama: Unberührt vom Kalten Krieg

Die mit den USA eng koordinierte Vorgangsweise in der Finanzkrise zeugt vom gemeinsamen Bewusstsein, dass heute kein noch so mächtiges Land derartigen Entwicklungen alleine begegnen kann. Beide Kandidaten, Barack Obama und John McCain, haben ein klares Bekenntnis zur transatlantischen Zusammenarbeit abgegeben – mit höchst unterschiedlichen persönlichen Erfahrungen und Zugängen.

Der republikanische Kandidat steht für eine Politikergeneration, die durch und durch transatlantisch geprägt ist. Obama war im weltpolitischen Jahr des großen Wandels 1989 noch keine 30 Jahre alt, seine entscheidenden politischen Erfahrungen stammen somit aus der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges. Dennoch räumt auch er der Befestigung und Erneuerung der transatlantischen Beziehungen einen besonderen Rang ein. Worum es bei der gemeinsamen Lösung von Problemen geht: eine gereifte Partnerschaft auf Augenhöhe.

In der Realität ist der Raum für politische Veränderung geringer, als er auf den ersten Blick erscheinen mag. Wir Europäer haben eine klare Erwartungshaltung an die neue US-Administration. Sie basiert auf gemeinsamen Werten, auf der engen wirtschaftlichen Verflechtung und der Erkenntnis, dass gemeinsames Vorgehen stärker ist als die Summe von Einzelentscheidungen:

Wir hoffen auf ein erneuertes und aktives US-Engagement in der UNO und anderen internationalen Organisationen.

Bei einer Reihe multilateraler Abkommen und Institutionen – etwa dem Kyoto-Protokoll und dem Internationalen Strafgerichtshof – würde die Staatengemeinschaft Unterstützung durch die USA und deren führende Rolle begrüßen.

Wir hoffen auch, dass die USA im Kampf gegen den Terrorismus keinen rechtsfreien Raum mehr zulassen. Das Gefangenenlager in Guantánamo muss geschlossen werden. Unsere gemeinsamen demokratischen Werte und die Grundwerte, die wir gerade in dieser Auseinandersetzung mit menschenverachtenden Terroristen schützen wollen, dürfen nicht länger infrage gestellt sein.

Im Bereich der Abrüstung und Rüstungskontrolle sind mutige und innovative Schritte gefordert. Dazu zählt im Besonderen die atomare Abrüstung, die die USA wieder aktiv betreiben sollten. Fernziel ist die vollständige Abrüstung aller Atomwaffen; dafür tritt Österreich nachdrücklich ein: Denn eine sicherere Welt kann nur eine ohne jegliche Atomwaffen sein.

Ein Stilwechsel genügt nicht

Dass jede künftige US-Administration Wünsche äußern und Erwartungen an Europa richten wird, ist legitim. Entscheidend wird sein, dass wir nicht nur einen Wechsel in Stil und Rhetorik erleben, sondern auch in Inhalten. Die EU und USA brauchen einander – dieses Bewusstsein erwarte ich mir vom neuen US-Präsidenten.

Die Freundschaft zwischen Österreich und den USA geht u.a. auf die amerikanische Unterstützung bei der Wiederherstellung demokratischer Freiheit und beim wirtschaftlichen Wiederaufbau nach dem 2.Weltkrieg zurück. Durch unseren EU-Beitritt haben unsere Beziehungen eine neue Qualität gewonnen. Europa ist bereit, die nötigen Anstöße zu geben, um unser Beziehungsgeflecht auszugestalten. Neuer Schwung für die Beziehungen zwischen der EU und den USA liegt in unser beider Interesse. Ich bin zuversichtlich, dass uns dies gelingen wird – mit einem Präsidenten Obama oder mit einem Präsidenten McCain.

Dr. Ursula Plassnik ist seit Herbst 2004 österreichische Außenministerin. Von Jänner bis Oktober 2004 war sie Botschafterin Österreichs in Bern.


meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2008)

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