Warum an Schulen Mobbing betrieben wird

Mehr Sozialarbeiter in den Klassen würden dazu beitragen, größere Konflikte und Probleme zu entschärfen.

Der Mobbingfall in Vorarlberg, bei dem nun eine Familie die Republik Österreich klagt, gibt Anlass, um über Mobbing und Gewalt an österreichischen Schulen ganz allgemein nachzudenken. Die Frage, ob die Klage juristisch gerechtfertigt ist, müssen nun die unabhängigen Gerichte klären. Das vom zuständigen Richter angeregte Vergleichsangebot wurde von Klägerseite abgelehnt. Damit kommt es jedenfalls zu einem Prozess – dem ersten dieser Art in Österreich.

Doch wie konnte es nur so weit kommen? Was steckt hinter Mobbing, bzw. was ist Mobbing überhaupt? Mobbing ist Gewalt, wobei das Besondere bei Mobbing das wiederholte Vorkommen aggressiver Handlungen ist, die sich auf ein Machtungleichgewicht stützen. Dieses Machtungleichgewicht muss dabei nicht zwingend formalisiert sein, wie dies zum Beispiel in einer Hierarchie der Fall wäre. Es kann sich auch aus den Beziehungsstrukturen ableiten. Mobbingopfer stehen dabei allein einer Gruppe von Gewalttätern gegenüber, die, neben dem Rädelsführer, aus Mitläufern und Zuschauern besteht.

Mobbing findet jedoch mittlerweile häufig nicht mehr nur im direkten Kontakt statt: Die neuen Medien über Internet und Handy schaffen eine permanente Angriffsmöglichkeit, der sich das Opfer kaum entziehen kann. Das verschärft die Situation für das Opfer, an der grundsätzlichen Problematik und Dynamik ändert es aber kaum etwas.

Nicht mehr, nicht weniger

Denn eines vorweg: Die Gewalt – und dazu gehört auch Mobbing – an österreichischen Schulen ist in den vergangenen Jahren nicht mehr geworden. Sie ist aber bedauerlicherweise auch nicht relevant gesunken. Aktuelle Zahlen aus einer Studie von Strohmeier aus dem Jahr 2012 zeigen, dass zwölf Prozent der Mädchen und 29 Prozent der Burschen regelmäßig als Opfer oder Täter in Gewalthandlungen in der Schule involviert sind. Dabei erfasst ist auch die Gewalt über neue Medien, wobei sich zeigt: Täter sind meist keine Cyberspezialisten, sondern sie nutzen die neuen Möglichkeiten eben auch und sind sowohl im realen Leben als auch im Cyberspace Mobber.

In derselben Studie geben die Schüler auch an, dass über 40 Prozent der Lehrpersonen bei Gewalthandlungen nicht (ausreichend) eingreifen. Was kann und muss die Schule daher tun? Eine Frage, die uns über die Schule hinaus alle angeht. Denn es ist nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine ganz zentrale gesellschaftliche Frage.

Ganz allgemein gilt: Dort, wo viele Menschen viel Zeit miteinander verbringen, kommt es unweigerlich zu Konflikten. Das ist per se weder gut noch schlecht, sondern schlicht menschlich. Eine Wertung wird erst dann möglich, wenn man sich anschaut, wie diese Konflikte gelöst werden – oder eben nicht.

Kinder erobern die Welt spielerisch, und dabei gehören auch Grenzüberschreitungen dazu. Die Regeln und Gegebenheiten, die wir entwickelt haben, müssen erkundet und erprobt und letztlich verinnerlicht werden. Es ist normal und gesund für Kinder und Jugendliche, auch die Belastbarkeit von zwischenmenschlichen Beziehungen zu testen. Dabei lernen sie gesellschaftliche Normen: Was ist noch okay, und was geht zu weit? Wann fühle ich mich verletzt, und wann verletze ich andere?

Soziale Intelligenz

Diese Lernprozesse führen zu dem, was mittlerweile als soziale Intelligenz bezeichnet wird, und sind notwendige Entwicklungsschritte auf dem Weg zu einem verantwortungsbewussten Erwachsenen. Dabei ist es wichtig und richtig, dass diese Lernprozesse auch in der Schule, in einer quasi beaufsichtigten und behüteten Umgebung, stattfinden. Und weil das so ist, hat Schule als Institution auch die Verantwortung, sich dieser Aufgabe aktiv zu stellen.

Pädagogen sind dafür jedoch nicht primär ausgebildet. Ihre hauptsächliche Aufgabe ist die Wissensvermittlung, und das ist auch gut so! Damit soll keineswegs die Bedeutung der sogenannten überfachlichen Kompetenzen im laufenden Unterricht infrage gestellt werden. Natürlich haben Lehrkräfte eine wesentliche Vorbildfunktion, sind Bezugsperson und somit auch für die Erziehung der Kinder und Jugendlichen verantwortlich (nur am Rande: Die Erziehungsaufgabe von Lehrkräften ist, wenn auch oft bestritten, geltendes österreichisches Recht, siehe zum Beispiel §17 SchUG oder §2 SChOG).

Jedenfalls sind Lehrkräfte bei Konflikten und Problemen wichtige „Seismografen“ und oft erste Anlaufstellen für Schüler. Der ihnen im konkreten Fall zur Verfügung stehende Dienstweg über die Direktion, die Schulaufsicht und den Landesschulrat bietet vielleicht juristischen Halt, Unterstützung im konkreten Umgang bietet er kaum. Zur Bearbeitung und Lösung größerer Konflikte und Mobbingfälle braucht es eben auch dafür explizit geschultes psychosoziales Personal an den Schulen. Damit Fälle wie jener in Vorarlberg erst gar nicht so heiß werden können, wären daher an jeder Schule fix angestellte Schulsozialarbeiter dringend nötig.

Schulsozialarbeit, in tatsächlich flächendeckender Form, könnte dabei auch mehr als Mobbingfälle verhindern. Sie wäre eine wichtige Stütze in der Prävention von Radikalisierungen von Kindern und Jugendlichen – sei es nun durch den derzeit viel diskutierten Jihad, sei es durch rechtsextreme Verführer oder Sekten.

Gesellschaftliche Probleme brauchen gesellschaftliche Antworten. Und die Gesellschaft von morgen wird in den heutigen Schulen geprägt. Umso wichtiger ist es, dass Schule ein Ort der Sozialisation ist, in dem der Zusammenhalt, die Gemeinschaft und Demokratie als positive Werte erfahren werden. Und ja, dazu gehören auch Umgangsformen wie z.B. das Grüßen, aber auch gegenseitiger Respekt und Wertschätzung.

Genügend Ressourcen

Darüber hinaus kann Schulsozialarbeit einen bedeutenden Beitrag zur politischen Bildung leisten. Das in einer aktuellen Studie der Wiener Arbeiterkammer festgestellte Defizit an politischer Bildung ist nämlich ernst zu nehmen und kann zu einer Gefahr für die Demokratie werden. Dagegen schafft Schulsozialarbeit Raum, um zu erfahren, wie Konflikte auf demokratische und gewaltfreie Weise gelöst werden können. Natürlich nur, wenn es die Schulstruktur und -kultur zulassen und genügend Zeit und Ressourcen dafür zur Verfügung gestellt werden.

Damit sind wir bei einem entscheidenden Punkt: Können wir uns eine flächendeckende psychosoziale Versorgung an den Schulen leisten? Nun ja, die eigentliche Frage müsste lauten: Können wir uns keine psychosoziale Versorgung an den Schulen leisten, wenn wir die gesellschaftlichen Aufgaben, die vor uns liegen, ernst nehmen?

Eine kleine Anmerkung noch zur Finanzierung: Mit den vom Wiener Bürgermeister Häupl versprochenen 20 Millionen Euro pro Jahr für die Gratisnachhilfe könnte auch an jeder der rund 650 Wiener Schulen eine Schulsozialarbeiterin oder ein Schulsozialarbeiter fix angestellt werden. Es ist daher, wie so oft, eine Frage der Prioritäten!

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Georg Koenne
ist studierter Psychologe, er hat die parlamentarische Ausschussarbeit des Bildungsvolksbegehrens von Hannes Androsch geleitet und ist jetzt Geschäftsführer des ÖZPGS (Österreichischen Zentrums für psychologische Gewaltprävention im Schulbereich). Koenne ist für die Grünen Mitglied im Wiener Stadtschulrat. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2014)

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