Ein Baby klagt die Republik!

Der ÖVP-Behindertensprecher, Franz-Joseph Huainigg, ist aus dem Parlament ausgeschieden. Was dem Nationalrat bei seiner Sitzung diese Woche entgeht, wollen wir unseren Lesern nicht vorenthalten.

Sehr geehrte Frau Justizministerin!

Ich darf Ihnen herzlich zu Ihrer neuen Funktion gratulieren. Viele Anliegen warten auf eine engagierte Justizministerin, unter anderem dieses:

Kommende Woche findet im Landesgericht für Zivilrecht Wien eine außergewöhnliche Verhandlung statt. Emil, sechs Monate und behindert, aus Vorarlberg, klagt die Republik Österreich auf ein gleichberechtigtes Leben in Würde. Artikel7 der Bundesverfassung sieht unmissverständlich vor, dass „niemand aufgrund seiner Behinderung benachteiligt werden darf“. Auch in der soeben ratifizierten UN-Konvention wird das Grundrecht auf Leben von Menschen mit Behinderungen in Artikel10 festgehalten. Diese Grundrechte scheinen nach jüngsten OGH-Urteilen, die die Existenz von behinderten Kindern zum einklagbaren Schadensfall machen, gefährdet. Die Klage von Emil hinterfragt auf drastische Weise unser heutiges Menschenbild.

Auf Kostenfaktor reduziert

Bislang sprach der OGH in drei Fällen den Eltern von ungewollt geborenen behinderten Kindern Schadenersatzansprüche zu. Zuletzt wurde ein Spital in Kärnten nicht nur für den behinderungsbedingten Mehraufwand, sondern sogar zur Erstattung des gesamten Lebensunterhaltes des ungewollt geborenen behinderten Kindes verurteilt. Die Behinderung des Kindes hätte, laut Urteil, im Rahmen der Pränataldiagnostik erkannt werden sollen.

Somit wurde die gesamte Lebensexistenz des behinderten Kindes zum Schadensfall erklärt. Menschenleben werden damit auf einen reinen Kostenfaktor reduziert, wie es im NS-Regime praktiziert wurde. Im Euthanasieprogramm T4 wurden die Lebenskosten behinderter Menschen deren Tötung gegenübergestellt. Daher besteht dringender Handlungsbedarf im Schadenersatzrecht, der den Gerichtsurteilen zugrunde liegt. Die Geburt eines Kindes kann keinen Schadensfall darstellen.

Im Spätsommer letzten Jahres klagte eine Frau Schadenersatzansprüche für das dritte Kind ihrer Drillingsgeburt ein. Aus ihrer Sicht kam es ungewollt zur Welt, da sie bei der In-vitro-Fertilisation den Wunsch nach Zwillingen angegeben hatte. Der Klage wurde vom OGH zu Recht nicht stattgegeben. Gleichzeitig wurde durch dieses OGH-Urteil die Ungleichbewertung zwischen behindert und gesund geborenen Kindern evident. Im Gegensatz zu behinderten Kindern werden ungewollt geborene gesunde Kinder niemals als Schadensfälle bewertet.

In den Augen der Eltern jedoch ist Emil kein Schadensfall. Als im Rahmen der Pränataldiagnostik die Behinderung eines offenen Rückenmarkes festgestellt wurde, wurde zwar ein Abbruch der Schwangerschaft erwogen, aber nach Gesprächen mit Ärzten und Eltern behinderter Kinder verworfen. Heute schreibt mir seine Mutter in einem Mail: „Emil entwickelt sich prächtig. Beide Operationen (Verschluss Rücken und Shunt) hat er bestens weggesteckt. Mit seinen fünf Monaten bringt er schon über 7,5 Kilo auf die Waage und misst stolze 65 Zentimeter. Seit gestern kann sich Emil vom Rücken auf den Bauch und vom Bauch auf den Rücken drehen. Es gibt aktuell zum Glück keinen außerordentlichen Mehraufwand, was die Betreuung und Pflege betrifft, und die Kontrollen im Krankenhaus sind so gering, dass es kaum ins Gewicht fällt. Emil ist ein Sonnenschein und so wie jedes andere Kind nicht wegzudenken.“ Zwar hat Emil einen Neuralrohrdefekt, der mit zunehmendem Alter möglicherweise Einschränkungen mit sich bringen kann. Trotzdem stehen die Eltern voll zu ihm und sagen: „Schön, dass Emil da ist!“

Die Problematik von „wrongful birth“ wurde bei den letzten Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ sehr kontrovers diskutiert. Man ist sich über legistische Regelungen uneinig, hat sich aber im Regierungsprogramm auf eine inhaltliche Diskussion mit Experten geeinigt. Sehr eindeutig ist dabei die vereinbarte Zielsetzung: „Es ist außer Streit zu stellen, dass selbstverständlich die Geburt und Existenz eines Kindes mit Behinderung kein Schaden ist, wie groß die Betroffenheit und Trauer der Eltern über die Tatsache der Behinderung ihres Kindes auch sein mögen. Das Kind mit all seinen Eigenschaften, selbstverständlich auch mit einer oder mehreren Behinderungen, ist der Gesellschaft und der Rechtsordnung in höchstem Maße willkommen und verdient gerade im Falle von Behinderung die größtmögliche Zuwendung und Förderung.“

Kein Recht auf ein gesundes Kind

Die Regelung in Frankreich gibt Anhaltspunkte für einen Lösungsansatz: Der Arzt kann nur für Schäden haftbar sein, die er auch verursacht hat. Eine fehlerhafte Diagnose bei der Pränataldiagnostik wäre nur ein Behandlungsfehler, wenn die Behinderung aufgrund eines ärztlichen Kunstfehlers entstanden ist. Oder wenn durch die frühzeitige Diagnostik auch eine wirksame Therapie möglich gewesen wäre. Sonst liegt kein einklagbarer Behandlungsfehler bei der Geburt eines behinderten Kindes vor.

Es gibt kein Recht auf ein gesundes Kind. Die Klage von Emil gibt Anlass, über unser Bild von behinderten Menschen und entsprechenden gesetzlichen Regelungen nachzudenken. Gerade die Richterschaft fordert neue Regelungen ein. Ich bin daher überzeugt, Frau Bundesministerin, dass gerade Sie als Richterin a.D. hier den notwendigen Handlungsbedarf gut einschätzen können.

Franz-Joseph Huainigg, Abgeordneter zum Nationalrat a. D., ist Kinderbuchautor, Medienpädagoge und ÖVP-Behindertensprecher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2009)

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