Die Banalität des Todes

In Österreich gibt es noch keine Kultur des Gespräches über das Lebensende; auch der Staat fördert dies nicht.

Der Auftrag der Bundesregierung an die Bioethikkommission, sich mit der Frage eines Grundrechts auf Sterben in Würde zu befassen, hat bereits einen Erfolg zu verzeichnen: Es wird erstmals – jenseits der Festtage Allerheiligen und Allerseelen – über den Tod diskutiert, und, wie die öffentliche Sitzung der Bioethikkommission am 6.Oktober zeigte, es wird über so emotionell umstrittene Themen wie die Beihilfe zum Suizid oder Euthanasie in sachlicher Atmosphäre gesprochen!

Aber die Probleme, die wir täglich haben, sind andere, banalere Probleme: Wir haben seit 2006 ein Patientenverfügungsgesetz, und seit Kürzerem das Instrument der Vorsorgevollmacht. Aber kaum einer kennt oder nützt sie. Und wir leben in einem Land, in dem die meisten Krankenhäuser sich darauf verlassen, dass der Patient selbst dafür sorgt, dass seine Advanced Directives den behandelnden Ärzten bekannt sind. Dass sie eine „Bringschuld“ des Patienten sind.

Doch das ist schwierig, wenn der Patient akut und unansprechbar mit einer lebensbedrohenden Krankheit eingeliefert wird, weil es kein verpflichtendes zentrales System zum Abruf dieser Informationen bei uns gibt. Und selbst wenn eine Willenserklärung den Ärzten bekannt ist, dann ist die Frage, ob sie sich auch daran gebunden fühlen – beispielsweise keine Reanimation durchzuführen –, weil sie in Sorge sind, dafür belangt zu werden, nicht alles Menschenmögliche zum Erhalt des Lebens beigetragen zu haben!

Zu wenige Verfügungen

Im Vergleich mit Diskussionen über den assistierten Suizid sind das Banalitäten, aber genau diesen Banalitäten muss unsere Aufmerksamkeit gelten: Einerseits ist die Indikation für eine Behandlung des kranken Menschen Voraussetzung für jedes ärztliche Handeln, andererseits die Beachtung seines Willens. Hier haben wir in Österreich noch ein Defizit. Es werden zu wenige Patientenverfügungen erstellt – der Staat müsste innovative Wege wählen, um dies zu verbessern. Warum nicht eine kostenlose (!) Erstellung fördern und die Verfügungen zentral oder auf der E-Card abrufbar machen? Und alle Krankenhäuser verpflichten, dies bei jeder stationären Aufnahme abzufragen!

Andere Länder sind hier viel weiter. Dort gibt es eine Kultur des Gespräches über heikle Themen wie das Lebensende und den Tod, und ein Bewusstsein des Staates, dies zu fördern. Wir müssen uns um die Health Literacy, die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung kümmern, denn diese beeinflusst auch Entscheidungen am Lebensende sowie die Bereitschaft, dafür Verfügungen zu treffen.

Wir müssen aber auch die rechtliche Situation für Ärzte, wenn es um Entscheidungen im Angesicht von zum Tode führenden Erkrankungen geht, klarstellen. Ein erster wichtiger Schritt war die Empfehlung der Bioethikkommission aus dem Jahr 2011, eine neue Terminologie für Entscheidungen am Lebensende zu wählen, denn Worte prägen das Denken und damit auch das Handeln. Antiquierte Begriffe, die einer modernen Medizin nicht entsprechen – wie „passive“ oder „indirekte Sterbehilfe“ –, müssen vermieden werden. In einer neuen und passenden Terminologie wäre es „Sterben zulassen“ oder „Sterbebegleitung“.

Wir sind konfrontiert mit allgegenwärtiger Übertherapie. Das ist ein Zustand, der auch von der Gesundheitsindustrie mitverursacht ist. Eine rezente Studie aus den USA zeigt allerdings Erstaunliches auf: Ärzte würden für sich selbst auf aggressive Therapien am Lebensende verzichten, verfahren aber mit den Patienten anders, als sie es für sich anstreben (Periyakoil, PLOS One 2014). Dies sollte im Fokus unserer Diskussionen stehen!

Christiane Druml ist Vizerektorin der Medizinischen Universität Wien und Vorsitzende der Bioethikkommission.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2014)

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