Die Kapitulation vor dem Evangelium

Papst Franziskus schützt die Kirche – zum Ärger vermeintlich Frommer.

Es wird zu viele geben, die dem Kommentar von Pater Stefan Frey in der „Presse“ (29.10.) etwas abgewinnen können. Wer die vielen leidenden Geschiedenen in der seelsorglichen Nähe erlebt, dazu die betroffenen Kinder, die meist übersehen werden, wird sich tatsächlich mehr Stabilität in den Ehen und Familien wünschen. Gerade in einer Zeit zugemuteter Rundum-Mobilität ist ein verlässliches Obdach der Seele ein wahrer Segen. Eine in Sachen Ehe und Familie strenge Kirche könnte, so meint man, Leid vermeiden helfen.

Nun unterstellt der Piusbruder dem Bischof von Rom, Papst Franziskus, er würde in dieser Hinsicht billig vor dem Zeitgeist kapitulieren. Papst Franziskus hat aber eine gänzlich andere „Kapitulation“ im Sinn: die vor dem Evangelium.

Der kirchenpolitische Rechtsdissident Frey stützt sich in seiner Attacke auf den Papst auf die unveränderliche Botschaft. Das macht er aber völlig vergeblich. Denn auch Papst Franziskus geht es um diese. Er aber ist nicht darum besorgt, dass diese verwässert wird, sondern dass die vermeintlich unveränderte Botschaft im Lauf der Jahrhunderte „halbiert“ worden ist. Eben diese „Halbierung“ wiegt ganz schwer. Der Papst nähert sich keinesfalls dem Zeitgeist, sondern will die vergessene Seite der Botschaft wieder ins Bewusstsein heben und die Praxis der Kirche am Evangelium ohne Abstriche (sine glossa) orientieren.

Was freilich Personen wie Pater Frey suchen, ist spannungsfreie Einfachheit. Die Botschaft des Evangeliums ist aber nicht einfach, weil auch das, was die Bibel über Gott erzählt, nicht einfach ist. Das Gottesbild Jesu selbst ist voller Spannung: Einerseits steht die Botschaft des Evangeliums für unverbrüchliche Treue. Gott stellt sich auf die Seite der Liebenden und ihres geradezu archaischen Traums, in Frieden miteinander alt werden zu können. Alles, was wir über den Traum der Liebenden in Erfahrung bringen können, ist, dass sie letztlich Ewigkeit und Unendlichkeit wollen. Dass eine Liebe zerbricht, erleiden viele als Scheitern.

Andererseits ist aber Jesus unentwegt daran gelegen, jenes Bild eines Gottes zurechtzurücken, das die Frommen haben. Danach hat vor Gott nur Bestand, wer moralisch integer ist und die Gebote erfüllt. Genau darum geht es aber Gott nicht. Deshalb geht Jesus ärztlich gerade zu denen, die verwundet und „ausgesetzt“ sind. Ihnen verkündet er, dass Gott die vielen Wunden der Menschen, selbst Mensch geworden, bis ans Kreuz mitleidet, aber für ihn das Kreuz nie das letzte Wort ist, sondern das Auferstehen. Zum Ärger der Frommen finden wir daher Jesus am Rand, bei den Sündern, Zöllnern und Dirnen, in schlechter Gesellschaft also. Diese richtet er, indem er sie aufrichtet. Mit ihnen hält er buchstäblich „Kommunion“. Er heilt sie, was ihm den Ehrentitel Heiland einbrachte.

Gott vergibt, Kirche nicht

Wie einst Jesus ist auch Papst Franziskus den moralischen Ordnungshütern und den Anwälten eines „halbierten“ Gottes ein Dorn im Auge. Wohl denken manche insgeheim, dass dieser „weg müsse“, und hoffen, dass er der Kirche nicht zu lange schaden könne. Dennoch: Es ist höchste Zeit, dass die Kirche sich wieder an das vollständige Gottesbild hält. Tut sie es nicht, kann sie nicht mehr Symbol Gottes sein, sondern wird zu dessen „Diabol“ – sie verwirrt die Menschen über Gott. Denn sie macht aus einem unpassenden einen uns passenden Gott.

Eine geschiedene Frau, gegen die Anweisung der Kirche wieder verheiratet, erzählt in einer geistlichen Gesprächsrunde: „Ich bin mir in meinem Innersten ganz sicher, dass Gott mir vergeben hat. Nur die Kirche vergibt mir nicht.“ Eine Kirche, die nicht das Handeln Gottes erfahrbar macht, schafft sich selbst ab. Vor einer solchen Selbstbeseitigung schützt Papst Franziskus die ihm anvertraute Kirche. Zum Ärger vermeintlich Frommer.

Der Autor ist katholischer Priester und em. Universitätsprofessor für Pastoraltheologie.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2014)

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