Wie viel Militär braucht der Friede?

Zivile Probleme brauchen zivile Lösungen und keine Militarisierung. Daran sollte sich auch Österreich halten.

Der Zickzackkurs der Regierungsparteien vor der Volksbefragung über das Wehrsystem im Jänner 2013 war ein beeindruckendes Lehrstück politischer Selbstbeschädigung. Die Sozialdemokratie plötzlich für ein Berufsheer, die Volkspartei dann halt eben für die Wehrpflicht. Auf dieser Basis wurde zur Teilnahme an der Volksbefragung geladen, am Ende wurde über Hochwasserhilfe, Schneeschaufeln und ein auf Zivildienst basiertes Gesundheitssystem abgestimmt. Die Kernfrage aber – wozu überhaupt ein Bundesheer – blieb weitgehend unberührt.

Konventionelle Landesverteidigung stellt ein Szenario mit höchst geringer Eintrittswahrscheinlichkeit dar. Zu vernetzt sind die Staaten heute, zu lang sind die Vorwarnzeiten. Die EU-Sicherheitsstrategie besagt, bei den neuen Bedrohungen „wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen“. Ein EUphemismus für einen salonfähig werdenden Interventionismus.

„Verteidigt“ – und ein Blick auf die 33 EU-Auslandseinsätze belegt dies mitunter – werden unter anderem Wirtschafts-, Energie- und geopolitische Interessen. Globale Demokratie und Menschenrechte werden nicht selten instrumentalisiert. Aus guten Gründen hat die Reformkommission des Bundesheers unter Helmut Zilk dargelegt, dass sich die Gefahr terroristischer Anschläge in Österreich erhöhen könnte, wenn die EU-Staaten versuchen, die Welt an permanentes Intervenieren zu gewöhnen.

Alles „versicherheitlichen“

Die im Juli 2013 beschlossene Österreichische Sicherheitsstrategie zeigt, wie versucht wird, völlig unterschiedliche globale Herausforderungen – vom Klimawandel, über Wirtschaftskriminalität bis hin zu Umweltschäden – klammheimlich zu „versicherheitlichen“. Zivile Probleme brauchen zivile Lösungen und keine Militarisierung. Ein Beispiel ist nicht weit: Der „Schutz kritischer Infrastruktur“ wäre aus guten Gründen eigentlich Aufgabe einer entsprechend ausgestatteten Polizei. Auf Basis von „mehr Sicherheit mit mehr Militär“ lassen sich auch die geopolitischen Verwerfungen mit Staaten wie Russland oder China nicht glätten.

Rückbau des Bundesheeres

Was tun? Österreich hat nicht zuletzt als Sitz zahlreicher internationaler Organisationen ein nationales und strategisches Interesse am Multilateralismus und an der Stärkung des Rechts statt am Recht des Stärkeren. Das scheinen die diversen Regierungen seit den 1990er-Jahren zu vergessen, wenn sie Völkerrecht und Neutralität politisch und rechtlich immer weiter abwerten. Auch nicht staatliche Beiträge und Potenziale aus Forschung und Praxis müssen beim außenpolitischen Gesamtbild berücksichtigt werden.

Wie kann der Rückbau des Bundesheeres aussehen, wenn zivile Konfliktprävention, Völkerrecht und ziviles Krisenmanagement im außenpolitischen Fokus stehen? Österreich stellt den Vereinten Nationen 2000 Personen permanent zur Verfügung, die hierzulande exzellent ausgebildet werden und von der UNO auf Basis eines humanitären und strikt defensiven Mandats eingesetzt werden. Wichtig ist, dass sich Österreich – gemeinsam mit anderen Neutralen – parallel aktiv für eine Reform der UNO in Richtung ziviler Krisenprävention und für globale Abrüstung einsetzt. Der Rest des Heeres – von der Militärmusik bis zur Luftwaffe und den Panzern – verliert seine Aufgabe.

Gegen nationale und internationale Naturkatastrophen muss niemand bewaffnet sein, und zivile Einrichtungen haben sich diesbezüglich enorme Glaubwürdigkeit erarbeitet. Ein österreichisches Mitmitschen an Rohstoffkriegen und EU-Interventionismus wird auf diesem Weg strukturell denkunmöglich gemacht.

Thomas Roithner ist Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler, Friedensforscher und Privatdozent am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2014)

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