Allahs Wort auf dem staatlichen Prüfstand?

Österreich könnte zum Schauglas für das Verhältnis zwischen westlicher Demokratie und islamischer Theokratie werden.

Nach Ablauf der Begutachtungsfrist für das österreichische Islamgesetz steht den Ministern für Kultur und Integration eine erschwerte Phase des „Dialogs mit dem Islam“ ins Haus. Der Autor dieses Beitrags beobachtet die problematische Sachlage aus jahrzehntelanger Erfahrung im Orient sowie medialem und literarischem Umgang mit dem Islam und seinen Aktivisten in Europa.

Es scheint, als ob der Sonderfall Österreich mit der Habsburger Islamtradition zu einer Art Schauglas werden könnte, an dem sich das komplexe Interessengemenge von westlicher Demokratie und islamischer Theokratie klarer als anderswo ablesen lässt.

In den EU-Staaten ist hinsichtlich des Islam in den vergangenen Jahren Ernüchterung eingetreten. Hauptgrund ist die OIC (Organisation für Islamische Zusammenarbeit), die islamische UNO, die auf ihrem Gipfel 2005 in Mekka ein milliardenschweres Programm zur Durchdringung Europas mit den Werten der Scharia verabschiedete. So soll der Islam „Miteigner Europas“ sein, zu dem es „keine Alternative“ gibt, nachzulesen bei der Historikerin Bat Ye'or („Europa und das kommende Kalifat“, Berlin 2013), die den Euro-Islam-Konsens – zum Unmut seiner finanz- und medienstarken Lobby – penibel dokumentiert.

Politreligiöser Protest

Umso bemerkenswerter ist die österreichische Initiative, die auch, aber nicht nur auf den Massenmord an den Christen und Yeziden im Einflussbereich der Mörderbanden des Islamischen Staates reagiert, sondern die sich eher auf das langfristige Anspruchswachstum der Muslim-Gemeinschaft zurückführt. Darauf verweist die stringente Reaktion der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), die sich gegen die Priorität des österreichischen Gesetzes und das Verbot ausländischer Finanzmittel richtet, obwohl sie drei Jahre lang an dem Text mitformuliert hat.

Was das Geld betrifft, so trägt der Protest eher zur Belustigung bei. Die Akteure wissen natürlich, dass der gleiche globale Einfluss, der die Finanzmarktsteuer verhindert und die Korruption fördert, auch Finanzierungsverbote in den Ländern unterläuft. Ob Islamic Banking (Islam-Stiftungen inklusive) oder inländische „Dialog“-Lobby – ohne konkrete Steuerregelungen ist Geld kein Problem. Dabei signalisiert das Zinsniveau nahe null eine kuriose Integration in den Islam, die als „unfreiwilliger Finanz-Jihad“ dessen gezieltes Vordringen in den westlichen Aktienbesitz begleitet.

Im Fokus steht der politreligiöse Protest, der in einer kruden Meinungsmühle kreist. Der muslimische Geltungsanspruch wächst systemisch mit seinem Erfolg, als Eigendynamik eines Propaganda-Monologs, der den aufklärenden Dialog bekämpft – von der Polemik über die Provokation zur Islamophobie, dem Zentralbegriff der OIC-Agenda. Indem Scharia, Koran und Tradition allen Glauben und alles Wissen regeln, wird Islam zum Machtpatent, das kraft diktierter Toleranz elitäre Freiheiten mit aggressiven Avantgarden ausweitet und demokratische Bürgerrechte einengt.

Weil Allah es so will

Die Muslime, speziell ihre zumeist selbst ernannten Vertreter, müssen Sonderrechte verlangen, weil es Allah so will: „Ich habe die Djinn (Geister, der Autor) und die Menschen nur darum geschaffen, damit sie mir dienen“ (51/56), lautet eines der Koran-Dogmen, die den historischen Expansionsdrang begründen. Dabei dient das tägliche Mehrfachgebet der Erinnerung an und Vorbereitung auf den Jihad nach Muhammads unübersteigbarem Vorbild.

Hier gibt es keine Beweisnot, da die Autoritäten des Weltislam auf Moscheebau und Dominanzpflicht pochen. Sie rufen ihre Diaspora-Vertreter zur Ordnung, wenn sie im „Dialog“-Übereifer islamschädlich täuschen. So warnt der Mufti von Saudiarabien vor der Unwahrheit, dass es „keinen Zwang im Glauben“ (2/256) gebe, weil sonst die absolute Wahrheit des Islam entfiele.

Da es Pflicht der Muslime sei, Macht über die Ungläubigen anzustreben, weil Allah sie als „beste Gemeinschaft und Richter über das Erlaubte und Verbotene“ (3/111) einsetze, müsse der Wille des Allmächtigen auch ihr Wille sein. Es ist diese Absolutheit, die die Dialogideologie als Trittbrett nutzt, um den Bürgern ebenso absolute „Toleranz“ abzufordern.

Hommage an das Saudi-System

Darauf lief auch die kürzliche Hommage der Generalsekretärin des Wiener King-Abdullah-Zentrums, Claudia Bandion-Ortner, an das Saudi-System hinaus. Sie stimmt mit der Elitensicht überein, die oft „keinen Unterschied“ zwischen zivilisierten und islamo-archaischen Gesellschaften erkennt. Die Ansicht, dass man dort „nicht jeden Freitag“ köpfe, kann mithin kaum irritieren, aber an die harte UNO-Protestnote erinnern, als prominente Politiker einst in Österreich „keinen Platz für die Scharia“ sahen.

Die derzeitige Gemengelage präsentiert ein doppeltes Dilemma: die Islamführung, die die EU-Staaten unter Druck setzt, und die Euro-Eliten, die mit dem Mantra „der Islam ist nicht das Problem“ als das eigentliche Problem erscheinen. Das Gesetz könnte dies relativieren, indem es die Religionsfreiheit mit dem Absolutheitsanspruch abgleicht, zu dem der „Frieden des Islam“ dogmatisch verpflichtet.

Der Jihad als Oberpflicht

Da viele Bürger Aufschluss über und Mitsprache bei diesem Frieden verlangen, verbreiten die Aktivisten das OIC-Dekret, demzufolge die Demokratisierung und Erläuterung des Islam eine „rassistische Phobie“ ist. Damit legitimiert sich eine „interkulturelle“ Radikalität, der das Islamgesetz entgegenwirkt und bei den Aktivisten reflexhafte Aggression auslöst.

Gerade erschien ein Buch des Bonner Islamwissenschaftlers Tilman Nagel („Angst vor Allah? Auseinandersetzungen mit dem Islam“, Duncker & Humblot), das – aus muslimischer Sicht „islamophob“ – darüber informiert, wie diese Art Frieden zu beurteilen ist. Als Quellenkenner entfaltet der Autor das Spektrum islamischer Glaubensexistenz, der Geschichte, Politmoral und Sozialität, die in die Oberpflicht des Jihad münden.

Von ihr kann nicht entbunden werden, weil sie die Lebensmitte des Islam und seiner Gebetswelt bildet. Diese Pflicht ist so fundamental, dass wer sie lasch behandelt, den koranischen „Pfad Allahs“ verlässt, den die IS-Kämpfer auf ihre Weise beschreiten.

Deutsche Selbstdemontage

Indem EU und OIC den Jihad als irreführende „Anstrengung im Glauben“ zwischen Brauch und Missbrauch präsentieren, leisten sie der religiösen Radikalisierung in der politischen Kultur Vorschub. Sie agiert in den euro-islamischen Einrichtungen des Kulturdialogs, deren enorme Finanzierung immer mehr Amtsträger überzeugt, aber die Konfliktfülle weiter steigert.

Mit der „Angst vor Allah“ liefert Nagels Buch Einblicke in die Praxis staatlicher Selbstdemontage in Deutschland – als Kontrastfolie zu einem Felix Austria, das in der Wiener Initiative die Chance freiheitlicher Selbsttoleranz hat.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Hans-Peter Raddatz
(*1941) ist promovierter Orientalist und Volkswirt, der viele Jahre die Interessen renommierter Banken und Unternehmen im Nahen Osten vertrat. Er gehört zu den deutschen Islamwissenschaftlern, deren Beiträge Eingang in die „Encyclopaedia of Islam“, das Standardwerk der internationalen Orientalistik, gefunden haben. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2014)

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