Das Heer, das so gut wie gar nichts kosten darf

Die Philosophie hinter der neuen österreichischen Verteidigungsstrategie lautet: "Wir sehen derzeit keinen Feind und wir wollen auch in Zukunft keinen sehen." Sehr bequem - aber nur, solange Nato und EU funktionieren.

Bevor die nächste „Reform“ – sprich weitere Schmälerung – des Bundesheers durchgewinkt wird, müsse man jene Vorgaben haben, die Aufgaben und Fähigkeiten der Streitkräfte definieren. Dieser scheinbar seriösen Vorgabe der Regierungspolitik soll die Strategie „Verteidigungspolitik“ entsprechen, die vor Kurzem fertiggestellt wurde. Dieses Papier hat durchaus einen intellektuellen Anstrich, verfügt über kluge Formulierungen und einzelne Kapitel, die auch sinnvolle Aussagen (etwa über die Risikolage) haben. Insoweit entspricht es durchaus dem bisher hohen Niveau sicherheitspolitischer Papiere in Österreich.

Wer aber konkrete Vorgaben und konkrete Aufgabenstellungen sucht, wird enttäuscht. Ganz pauschal und ohne jede Erläuterung wird bloß ausgeführt, dass zur Erfüllung des Auftrags – der leider nur sehr ungenau beschrieben wird – 55.000 Soldaten erforderlich seien, darunter 1100 Soldaten als Dauerleistung für den Auslandseinsatz und 12.500 Mann aus dem Präsenzstand für Katastropheneinsätze im Inland.

Was in der Strategie alles fehlt

Auf eine Erklärung, woraus und wie sich diese Truppen zusammensetzen, wird verzichtet. Es fehlt auch jeder Hinweis darauf, wie diese Truppen bewaffnet und ausgerüstet sein sollten. So können natürlich auch keine finanziellen Erfordernisse festgeschrieben werden. Denn, dass das Bundesheer (fast) nichts kosten darf, war sicher eine eherne Vorgabe für die Verteidigungsdoktrin.

Auf den Zustand des Bundesheers, vor allem auf seine militärischen Fähigkeiten, wird überhaupt nicht eingegangen. Das wäre auch ernüchternd. Das Bundesheer verfügt nicht nur über fast keine der modernen Kriegsführung entsprechende Ausrüstung und Bewaffnung, es beherrscht auch seit mindestens eineinhalb Jahrzehnten den Kampf der verbundenen Waffen, also das Zusammenwirken der verschiedenen Waffengattungen, nicht mehr.

So fehlt beispielsweise unseren erstklassigen und teuren Eurofightern die entsprechende Ausstattung, um als Kampfflugzeuge zu funktionieren (ein „Einsparungserfolg“ des früheren Ministers Norbert Darabos, SPÖ), sie dienen bei uns lediglich als Überwachungsflugzeuge im Luftraum. Es fehlen Abstandslenkwaffen und Präzisionsmunition, Lenkwaffen mit Radarzielsuchkopf, Aufklärungsdrohnen für größere Höhen ebenso wie taktische Aufklärungsdrohnen, Elektronik zur taktischen Funkaufklärung, Störsender, Sensoren zur Artillerieortung, elektrooptische Überwachungssensoren, und es fehlen Kampfhubschrauber.

Gar nicht zu reden von Angriffsdrohnen und unbemannten Flugkörpern, Flugabwehrsystemen gegen taktisch-ballistische Raketen oder Marschflugkörper, Aufklärungssatelliten oder fliegenden Leit- und Gefechtsständen.

Umbau in Assistenzheer

So folgt die Strategie – geradezu logisch zwingend – der in der Praxis der Regierungspolitik entwickelten Maxime, das Bundesheer von einem militärisch bestimmten Einsatzheer zu einem paramilitärischen Assistenzheer umzubauen. Also keine Vorbereitung auf den Eventualfall Landesverteidigung, sondern nur noch Unterstützung der zivilen Behörden zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Hilfeleistung bei Elementarereignissen und Unglücksfällen außergewöhnlichen Umfangs.

Dass man dazu eigentlich kein Militär bräuchte, ist in ganz Europa unstrittig. Bei uns ist es aber die Lebenslüge für die Aufrechterhaltung des derzeitigen, auf der Wehrpflicht beruhenden Heeressystems.

„Unsere“ Wehrpflicht besteht ja darin, dass jährlich ca. 21.000 Mann (von 47.000 Stellungspflichtigen, der Rest sind Zivildiener und Untaugliche) für sechs Monate einberufen werden. Ein kleiner Teil davon wird einer (ziemlich guten) militärischen Ausbildung zugeführt, die Masse erfüllt Aufgaben als Systemerhalter. Am Ende ihrer Ausbildung, also wenn man sie als Soldaten bezeichnen könnte, rüsten sie ab und kehren nie mehr wieder – abgesehen von jener kleinen Minderheit, die sich zu freiwilligen Milizübungen bereiterklärt.

Diese Wehrpflicht bringt also keine Soldaten und hat auch die Miliz de facto zerstört, weil Milizübungen nur mehr auf freiwilliger Basis erfolgen, seit sie vom damaligen Verteidigungsminister Günther Platter (ÖVP) durch die Wehrdienstzeitverkürzung von acht auf sechs Monate (früher zwei Monte für Milizübungen) faktisch abgeschafft wurden. 20.000 Mann – und zwar in vorbereiteter militärischer Organisation – sollte die Miliz für die vorhin genannte Gesamtstärke der Truppen im Ernstfall stellen.

Ausbleibendes „Fußvolk“

Dazu müssten sich jährlich 3000 bis 4000 Mann neu zu den freiwilligen Milizübungen verpflichten; es waren aber in den vergangenen Jahren nur zwischen 600 und 1100. Milizverbände können nur eingesetzt werden, wenn sie regelmäßig Übungen machen und wenn sie die vorgesehene Organisationsstruktur einnehmen können. Die noch stattfindenden Übungen dienen nicht mehr der Einsatzfähigkeit der Miliz, weil zwar Offiziere und auch Unteroffiziere kommen, aber das „Fußvolk“ weitgehend ausbleibt. Das Strategiepapier spricht daher auch von „strukturierter“ Miliz, die einen neuen Grundauftrag erhalten soll. Was immer das auch heißt, es ist das indirekte Eingeständnis, dass die organisierte Miliz für Einsätze kaum noch vorhanden ist.

Bei 21.000 Präsenzdienern im Jahr (jeweils zur Hälfte anwesend) und über 15.000 Berufs- und Zeitsoldaten könnte das Bundesheer derzeit vielleicht 3000 Mann mit völlig unzureichender Ausrüstung ins Feld schicken. Dazu käme noch ein bisschen Miliz. Aufgrund der geplanten Reformen werden es noch weniger werden.

Was schon Spannocchi wusste

Amüsant wird das Strategiepapier, wenn darin von zeitgemäßer Neuausrichtung der militärischen Landesverteidigung auf nicht konventionelle Bedrohungsbilder die Rede ist. Kernaufgabe sei nicht mehr die „Panzerschlacht im Marchfeld“. Das wusste freilich schon der 1992 verstorbene General Emil Spannocchi. Nach dessen Vorgaben wurde in den 1970er-Jahren jener Landesverteidigungsplan erarbeitet, der die Vermeidung einer solchen Schlacht durch eine Abhaltestrategie im Sinne einer schwierigen Berechenbarkeit des Bundesheereinsatzes im Kriegsfall vorsah.

Aber damals war noch klar, dass man im Ernstfall Waffen und Soldaten braucht und nicht eine Strategie, die in Einsatzwahrscheinlichkeiten denkt. Denn ob und wann der Krieg kommt, das weiß man vorher eben nicht.

Die Philosophie hinter unserer Verteidigungsstrategie lautet wohl: Wir sehen derzeit keinen Feind und wir wollen auch in Zukunft keinen sehen. Wenn die EU und vor allem die Nato weiterhin funktionieren, werden wir mit unserer nur symbolischen Landesverteidigung weiterhin ganz gut leben können. Unser relativ kleinstes Verteidigungsbudget in Europa kann man so aufrechterhalten. Aber warum überhaupt ein Verteidigungsbudget, wenn die Regierung gar keine Verteidigungsfähigkeit will?

DER AUTOR

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Hon.-Prof. DDr. Erich Reiter
(* 1944 in Fürstenfeld) ist Präsident des Internationalen Instituts für Liberale Politik Wien und Hon.-Prof. für Internationale Beziehungen an der Uni Graz. Zuvor war er Beauftragter des Verteidigungsministeriums für strategische Studien und mehrere Jahre Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats. [ BMLVS ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2014)

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