Gefährliches Spiel von ÖVP-Granden mit dem Gymnasium

Seine Abschaffung würde urbane Klientel der Volkspartei ins Herz treffen.

Heute ist ein ziemlicher Scheißtag gewesen.“ So hat die grüne Hamburger Bildungssenatorin am Abend des 18.Juli 2010 das Ergebnis des Volksentscheids über eine neue Schulorganisation kommentiert, die die Hamburger Grünen ihrem Koalitionspartner CDU trotz deren gegenteiligen Versprechens abgerungen hatten: Die Einführung einer Gesamtschule light durch Ausdehnung der gemeinsamen Grundschule von vier auf sechs Jahre, um damit – wie es so schön geheißen hat – mehr Chancengerechtigkeit zu schaffen.

Für die CDU kam es damals noch dicker als für die Grünen: Krachende Niederlage beim Referendum, Rücktritt des CDU-Bürgermeisters, Verlust von fast der Hälfte der Stimmen bei der folgenden Hamburger Wahl. Seitdem regiert dort die SPD mit absoluter Mehrheit. Mit dem Versprechen, die Gesamtschule light nie mehr auf die Tagesordnung zu setzen.

Über die tatsächlichen oder vorgeschobenen Vor- und Nachteile einer gemeinsamen Schule aller Sechs- bis 14-Jährigen ist in der Zwischenzeit genug gesagt und geschrieben worden. Dazu nur noch ein Satz. Wie stark der Einfluss von Schulorganisation auf schulische Leistung überschätzt wird, zeigt das Gesamtschulland Italien. In Südtirol funktioniert das Modell sehr gut, in der Lombardei leidlich. Die PISA-Ergebnisse weiter südlich oszillieren nur mehr zwischen miserabel und katastrophal.

Ein Identifikationsprojekt

Das Gymnasium, wie es die Humboldtsche Bildungsreform dem deutschen Sprachraum beschert hat, ist ein zutiefst bürgerliches Identifikationsprojekt; vor allem des städtischen Bürgertums. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass die erste politische Organisation, die sich den Kampf gegen das Gymnasium und für die Gesamtschule auf ihre Fahnen geheftet hat, die Sozialistische Jugend gewesen ist. Kann man sich idealere Kronzeugen für mehr Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit als die jungen Sozialisten wünschen? Inzwischen haben sich einige Großkaliber in der ÖVP entschlossen, sich dieser Uraltforderung der jungen Sozialisten anzuschließen. Wenig überraschend stammen sie aus solchen Regionen, in denen die Stadt und damit das Gymnasium keine große Rolle spielt.

„...aber Niveau gesunken“

Wenn Politik nicht zu reiner Interessenvertretung und Klientelbedienung degenerieren soll, dann sind es Politiker ihrem Gewissen schuldig, auch für Positionen zu kämpfen, die den Interessen ihrer Klientel zuwiderlaufen. Ich habe mir selbst einmal in meiner Partei eine blutige Nase geholt, als ich mich als erstes Mitglied des ÖVP-Bundesparteivorstandes vor 20 Jahren für die Entkriminalisierung der Homosexualität ausgesprochen habe. Aus Gründen der Menschenwürde.

Wenn meine These stimmt, dass das Gymnasium auch bei uns ein bürgerliches Identifikationsprojekt ist – in Hamburg, wo sich 47 Klinikchefs und Primarärzte an die Spitze der Pro-Gymnasium-Kampagne gestellt hatten, war es das sicher –, dann würde die Abschaffung des Gymnasiums vor allem die städtische ÖVP-Klientel ins Herz treffen. Und zwar ohne überzeugende Argumente.

Bevor die Hamburger Politik versucht hatte, ihrer Stadt die Gesamtschule light unterzujubeln, hatte das die Berliner Politik bereits umgesetzt Die linksliberale Wochenzeitung „Die Zeit“, die diesem Schultypus an sich wohlwollend gegenüberstand, hat die Studie der Berliner Humboldt-Uni über den Erfolg der sechsjährigen Grundschule folgendermaßen zusammengefasst: soziale Durchlässigkeit erhöht, Niveau gesunken.

Quod erat demonstrandum.

DDr. Bernhard Görg (geboren 1942) war zehn Jahre Wiener ÖVP-Obmann, 1996 bis 2001 auch Wiener Vizebürgermeister und Gründer der Sir-Karl-Popper-Schule für Hochbegabte.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2014)

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