Noch nie gekürt: "KO" - das Unwort aller Unwörter

Kompetenzorientierung! Welcher Schwachsinn dem BIFIE so einfällt.

Seit über eineinhalb Jahrzehnten werden die Wörter und Unwörter des Jahres gewählt. Da finden sich „Hacklerregelung“ und „Schweigekanzler“, „Lebensmensch“ und „Penthousesozialismus“, „fremdschämen“, „Rettungsgasse“ und „Töchtersöhne“. Seltsamerweise aber ist noch nie das Unwort aller Unwörter gekürt worden: „Kompetenzorientierung“.

Dieses Wort klingt wie einem Wahlslogan aus dem Werbefernsehen entlaufen! Wer gar nichts anderes anzubieten hat, kann immer noch Kompetenzorientierung (KO) aus dem Bauchladen fischen, diese Superworthülse aus der Gründerzeit digitaler Dekadenz! Um mich an Kompetenz orientieren zu können, muss ich Kompetenz haben. Wenn ich Kompetenz habe, muss ich mich nicht an ihr orientieren...

Was denkt sich ein bundesbeamteter Lehrer, der über den Angabezettel „Kompetenzorientierte Schularbeit“ schreibt? Wie wurden denn Schularbeiten die ganze Menschheitsgeschichte lang bis vor sechs Jahren, bis zur Erfindung der zwangsverordneten BIFIE-Diktatur geschrieben? Nicht kompetenzoriertiert? (Den Schwachsinn im Unwort, liebe Bildungsexperten, nennt man Pleonasmus. Zum Beispiel: rundes Rad, dunkle Finsternis oder rückgratloser Weisungsgebundener.)

Bald kommen Denkaufträge

Und wie ist man vom Urknall weg bis vor sechs Jahren bei Deutschschularbeiten auf dem Weg zu Bildung und Matura ohne „Arbeitsaufträge“ und „Schreibsituationen“ ausgekommen? Außer Leserbriefen und Reden vor der UNO (Unicef) fallen den BIFIE-Kompetenzbeamten aber ohnehin kaum Schreibsituationen ein. In ein paar Jahren wird man das „Schreiben“ wohl ganz bleiben lassen, und das wird – als enormer Didaktikfortschritt gefeiert – Millionen verschlungen haben...

In der grauen Vorzeit bis vor sechs Jahren waren noch alle Menschen schreibsituationselastisch wie ein Schriftsteller! Nach der „Schreibsituation“ kommen als Nächstes die Verordnung der „Denksituation“ und die „Denkaufträge“. In Zukunft wird man nicht mehr einfach denken dürfen – und vor allem nicht, was man will, sondern man wird nur noch in vorgesehenen Denksituationen in vorgegebenen Denkrichtungen mit von Bildungsforschungsexperten ausgearbeiteten gewünschten Denkergebnissen denken dürfen.

Bundesweite Abrichtung

Mit Bildung haben die aktuellen gymnasialen Prozesse nichts mehr zu tun, mit einer (spezifischen) Ausbildung auch nicht: Sie sind bundesweite Abrichtung der vormals intellektuellen Kaste zu präziser Obrigkeitshörigkeit und funktioneller detaillierter Pflichterfüllung. Ich denke, der Tatbestand des strukturell Faschistoiden ist damit gesellschaftlich erfüllt.

Die Kreuzchenmachschularbeiten sind demütigend, weil die lange, schwierige, oft dialektische Gedankenarbeit und der oft qualvolle innere Diskurs, die zu der einen oder anderen Kreuzchenposition führen, überhaupt nicht realisiert, besprochen, reflektiert, geschätzt, gewürdigt, gewertet werden. Der Gang des Geistes zu sich selbst ist kein Multiple-Choice-Test, die Welt als Wille und Vorstellung genauso wenig.

Der Mathematiklehrerin meiner Tochter habe ich bei der Sprechstunde Tugenden meiner Sozialisation empfohlen, nämlich passiven Widerstand und zivilen Ungehorsam. Kampf gegen das System! Ich habe angeregt, sämtliche kompetenzorientierten Zentralmaturavorbereitungsmathematikschularbeiten zwei Jahre lang bundesweit geschlossen mit Nicht genügend zu beurteilen. Dann ist das BIFIE tot. Noch geht das.

Egyd Gstättner (*1962) studierte Germanistik und Philosophie. Er ist Schriftsteller und Essayist. Sein neuester Roman: „Am Fuß des Wörthersees. Neue Nachrichten aus der Provinz“ (Picus Verlag).

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2014)

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