Ein Land aus dem Tiefschlaf wecken

Die Zukunft Bosnien-Herzegowinas liegt in der EU, nicht im ewigen Protektorat.

Bosnien-Herzegowina befindet sich seit einiger Zeit in einer tiefen Krise. Auf den vor Kurzem zum neuen Hohen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft bestellten österreichischen Diplomaten, Valentin Inzko, wartet wohl die schwierigste Aufgabe seiner bisherigen Karriere. Der Wechsel an der Spitze des Büros des Hohen Repräsentanten (OHR) und Speziellen Beauftragten der EU (EUSR) muss zu einer dringend notwendigen Neu- und Repositionierung der internationalen Politik in Bezug auf Bosnien genutzt werden. Das derzeitige Dilemma ist schnell auf den Punkt gebracht: Die Position des OHR ist zunehmend schwächer geworden, die Bonn-Vollmachten haben sich realpolitisch überlebt; gleichzeitig ist die Sogwirkung der EU zu schwach geblieben.

Bereits bei der nächsten Sitzung des Friedensimplementierungsrates, am 25.März 2009, sollten die EU und die USA in einer transatlantisch akkordierten Aktion ihr ganzes politisches Gewicht einsetzen, um die Krisenspirale in Bosnien zu stoppen. All jene nationalistischen Politiker, die den Reformprozess blockieren, müssen deutlich vor weiteren Blockaden gewarnt und, wenn nötig, unter Einsatz der „Bonn Powers“ sanktioniert werden. Eine Teilung Bosniens als politische Option muss ausgeschlossen werden.

Bis Ende 2009 sollte eine Struktur doppelter Benchmarks mit klaren zeitlichen Vorgaben festgelegt werden, an denen die Reformbereitschaft der lokalen Politiker, aber auch Konsistenz und Vorgehen der internationalen Gemeinschaft gemessen werden.

Eine neue Strategie für Bosnien

Im Mittelpunkt dieser Politik muss die Verfassungsreform stehen. Es ist offensichtlich, dass ein Staat mit 160 Ministern und einer überbordenden und kaum funktionsfähigen Verwaltung nicht überlebensfähig ist. Das Prinzip der funktionsfähigen Verwaltung und das Subsidiaritätsprinzip müssten tragende Säulen neuer Verfassung sein, die auch mit der (Wieder-)Belebung des EU-Integrationsprozesses gekoppelt werden sollte. Nur ein funktionsfähiger bosnischer Staat mit schlanker und transparenter Verwaltung und einem konsolidierten Budget kann auch Mitglied der EU werden.

Das OHR muss sich bis Ende 2009 neben der Verfassungsreform vor allem darauf konzentrieren, die Voraussetzungen für einen effizienten Übergang zum EUSR zu schaffen. Ab Anfang 2010 sollte dann ein gestärkter und von den USA unterstützter EUSR den Abschied vom Protektorat zu einem europäischen Bosnien gestalten.

Das alleinige Versprechen der EU-Integration in einer langfristigen und vagen Perspektive als „Pull-Faktor“ reicht nicht mehr aus. Es bedarf dringend einer neuartigen Partnerschaft zwischen EU und Bosnien. Im Rahmen einer solchen Partnerschaft müsste die EU ihre Bereitschaft zur Integration Bosnien bekräftigen und mit konkreten Anreizen verbinden. Die konkreten Reformschritte beziehungsweise „Hausaufgaben“ der lokalen Politiker müssten partnerschaftlich definiert und umgesetzt, ihre Einhaltung in regelmäßigen Abschnitten evaluiert sowie bei Obstruktionen von einem starken EUSR sanktioniert werden.

Die Anreize der EU könnten auch in einem Paket für eine „Junior-Mitgliedschaft“ Bosniens in der EU zusammengefasst werden. Dieses sollte – bei entsprechendem Reformwillen der lokalen Akteure – die rasche Aufhebung der Visumpflicht, die Mitgliedschaft in der Eurozone sowie die Möglichkeit einer erleichterten Teilnahme an den Strukturfonds der EU beinhalten. Außerdem sollte ein solches Paket seitens der EU – in Kooperation mit den USA und Weltfinanzinstitutionen – Mittel zur Verbesserung der Infrastruktur und Schaffung von Arbeitsplätzen enthalten. Selbstverständlich muss auch in einem solchen Rahmen strikt auf die Einhaltung der europäischen Bedingungen geachtet werden, deren Erfüllung den Weg zu einer Vollmitgliedschaft eröffnen soll.

In einer der ersten Reaktionen auf Bestellung zum neuen OHR-Chef sprach Inzko von einem „wundersamen Land“ und „einem Land wunderbarer Menschen“. Leider haben Krieg und jahrelang potenziertes nationalistisches Spiel der lokalen Eliten aus diesem wundersamen Land ein Land der (bislang) verlorenen Chancen gemacht, an das viele seiner Bürger nicht mehr glauben.

Passives Zuschauen ist gefährlich

Es ist höchste Zeit, statt des bisherigen passiven und für Bosnien gefährlichen Zuschauens rasch die nächste – europäische – Etappe in Bosnien einzuläuten und sie mit konkreten und jederzeit messbaren Schritten offensiv zu gestalten. Dabei sollen die „Bonn Powers“ des Hohen Repräsentanten zu kreativen „Smart Powers“ des neuen starken EU-Repräsentanten umgewandelt werden, die helfen sollen, Bosnien schnell vom Protektorat zu einem Mitglied der EU zu transformieren.

Dies setzt voraus, dass die EU und die USA in der nächsten Zeit akkordiert, entschieden und eben „smart“ vorgehen und Valentin Inzko den Rücken stärken. Diese Führungspersönlichkeit verfügt über die notwendige – dem Kontext angepasste – Intelligenz und Erfahrung, um gemeinsam mit bosnischen Bürgern – sowohl Politikern als auch Akteuren der zivilen Gesellschaft und Wirtschaft – Bosnien aus dem Tiefschlaf zu wecken und zur europäischen Normalität zu führen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2009)

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