Das Verhältnis Politik/Religion und die Wahrheitsfrage

Die Religionsgemeinschaften entfalten eine andere Funktion als der Staat.

Die gegenwärtigen Entwicklungen geben Anlass dazu, über das Verhältnis von Religion und staatlicher Politik nachzudenken. Historisch betrachtet lässt sich ein breites Spektrum beobachten: Auf der einen Seite der Skala steht die Vermischung von Religion und Politik, auf der anderen eine Todfeindschaft und absolute Trennung. Beide Extremformen sind als totalitär zu qualifizieren. Die möglichen Mischformen scheinen auch nicht wesentlich besser zu sein.

Was wäre eine angemessene Verhältnisbestimmung von Religion und Politik? Ich schlage vor, dass es statt Vermischung oder Trennung um eine unterscheidende In-Beziehung-Setzung gehen sollte. Religionen und staatliche Politik sind klar voneinander zu unterscheiden. Die Religionsgemeinschaften entfalten für das Gemeinwesen eine andere Funktion als der Staat. Aber Religion und Politik stehen auch in verschiedensten Beziehungen zueinander.

Die Werthaltungen von Bürgern und Politikern sind häufig religiös bestimmt, was sich in Demokratien politisch auswirkt. Die christlichen Kirchen wollen etwa einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten, indem sie das Evangelium verkünden – eine Botschaft, die aus der Macht der Angst um sich selbst zu wahrer Menschlichkeit und Vernunft befreien möchte.

Die Aufgabe des Staates

Im Falle eines Konflikts zwischen Religion und Politik ist aus christlicher Sicht zu sagen, dass der Glaube niemals im Widerspruch zu einer ihre Autonomie wahrenden Vernunft stehen kann. Dies ist tatsächlich Lehre der katholischen Kirche, auch wenn diese Lehre durch eine vielfach unzureichende Glaubensverkündigung und Moralbegründung konterkariert wurde und wird. Jedenfalls gilt: Wirklicher Glaube fordert und fördert eine möglichst kritische Vernunft, damit er sich vom Aberglauben unterscheiden kann.

Der säkulare Staat sollte gegenüber allen Religionen ein unparteiliches Verhältnis haben, weil es nicht Aufgabe des Staates ist, über die Wahrheit der Religionen zu entscheiden. Es ist jedoch die Aufgabe des Staates, wirksam für Religionsfrieden und Einhaltung der Rechts- und Verfassungsordnung zu sorgen, notfalls mit rechtlich geregelter Gewalt. Das Gewaltmonopol muss beim Staat liegen, dadurch ist er geradezu definiert.

Säkulare Welt herausgefordert

Die Debatten rund um das Verhältnis von Religion und Politik leiden oft unter Begriffsverwirrung und Undifferenziertheit. Zwei Problemkreise scheinen besonders relevant zu sein: Wie können die moralischen Grundlagen unserer westlichen Gesellschaften überzeugend begründet werden? Die säkulare Welt wird durch den Islam in einer Weise herausgefordert, die ihre eigene Orientierungslosigkeit und Überzeugungsschwäche offenbart. Mit bloßem Pragmatismus lässt sich jedenfalls keine verantwortliche Politik machen.

Auf der anderen Seite wäre es dringend notwendig, dass der Dialog der Religionen und Weltanschauungen die Wahrheitsfrage nicht ausklammert. Mit welchem Recht behaupten Christen oder Muslime, dass die Bibel oder der Koran Ausdruck einer göttlichen Offenbarung sei? In welchem genauen Verhältnis steht der Wahrheitsanspruch des Christentums zu demjenigen des Islam oder demjenigen des Atheismus?

Ein Dialog ohne die Wahrheitsfrage scheint eine müßige Veranstaltung zu sein. Und sachliche Kritik dient, von wem auch immer sie vorgetragen wird, der Wahrheitssuche. Tabus und Frageverbote sind kontraproduktiv. Es ist an der Zeit, die wesentlichen Fragen anzugehen, ernsthaft und in der Haltung gegenseitigen Respekts.

DDr. Robert Deinhammer SJ, geboren 1977, Mitglied des Jesuitenordens, Philosoph und Jurist, lebt derzeit in London.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2015)

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