Schottland gegen England: Das Match ist nicht entschieden

Die schottische Frage drängt schon wieder mit aller Wucht ins Rampenlicht.

Im Vorfeld des Unabhängigkeitsreferendums in Schottland im vergangenen September haben der britische Premierminister David Cameron wie auch die Parteichefs von Labour und Liberalen – quasi mit dem Rücken zur Wand – den Schotten weitgehende Autonomiezugeständnisse gemacht. Ein Bericht, der nun als Gesetzesvorlage im Parlament liegt, spricht von Schottland als einem der mächtigsten Gliedstaaten der Welt: Das Parlament in Edinburgh soll noch mehr Kompetenzen im Steuer- und Sozialbereich bekommen.

Wie diese Vorschläge – und vor allem: von wem – umgesetzt werden sollen, steht auf einem anderen Blatt. Im Mai wird in Großbritannien neu gewählt, diesen Fragen wird sich also die nächste britische Regierung stellen müssen.

In der jetzigen Form wird das Autonomiepaket wohl kein Gesetz werden, so viel steht fest. Die Schottische Nationalpartei (SNP) kritisierte bereits die Vorschläge als Rückschritt hinter die vor dem Referendum gemachten Versprechungen. Die Befugnis, über Offshore-Ölvorkommen zu verfügen, bleibt, wie auch die Entscheidungskompetenz über 70 Prozent der Steuer- und 80 Prozent der Wohlfahrtsagenden, in London.

Unmut in anderen Regionen

Schließlich rufen die Zugeständnisse an Schottland, mögen sie den Nationalisten auch nicht genügen, in anderen Regionen Unmut hervor. In England leben 85 Prozent der britischen Gesamtbevölkerung, und immer weniger Engländer wollen einsehen, warum Schottland weiterhin ein Mitspracherecht in englischen Angelegenheiten haben soll. So verkündete vor Kurzem die SNP etwa, im britischen Parlament in Angelegenheiten des nationalen Gesundheitssystems mitstimmen zu wollen.

Es wird somit noch viel Wasser die Themse hinunterfließen, ehe alle Abänderungsanträge zur „Scottish Bill“ abgearbeitet worden sind. Lange Debatten im House of Commons und House of Lords sind dabei programmiert – vor allem, da Letzteres nur allzu gut bekannt dafür ist, Gesetzesinitiativen der Regierung abzulehnen.

Ruf nach einer Verfassung

Das Prozedere um verstärkte schottische Autonomie wird sich also vermutlich bis nächstes Jahr in die Länge ziehen und zum Spielball diverser Parteiinteressen im Rahmen der Wahlen zum schottischen Parlament werden.

Eine Neuerung wurde hingegen mit der Unterstützung aller Parteien bereits umgesetzt: Für die schottischen Regionalwahlen wurde das Wahlalter nunmehr auf 16 Jahre gesenkt. Dies blieb jedoch bis jetzt der einzige Punkt, auf den man sich einigen konnte.

Englische Abgeordnete werden darauf dringen, die Schotten aus englischen Angelegenheiten hinauszubekommen. Neben Schottland wollen auch andere Regionen und die Städte mehr Autonomie – und die Labour-Partei möchte einen Verfassungskonvent einberufen sowie einen Senat der Regionen installieren. Zusätzlich werden Stimmen laut, die eine geschriebene Verfassung für Großbritannien fordern, um das künftige Fahrwasser vorzugeben.

Die schottische Frage drängt also wieder mit aller Wucht ins Rampenlicht. Tief greifende Änderungen mit unsicherem Ausgang werden erwartet für ein Land, das dieses Jahr das 800-jährige Bestehen von Rechtsstaatlichkeit und parlamentarischer Demokratie feiert. Entwicklungen, die aber dem englischen Parlamentarismus zu verdanken sind. Somit stellt sich die Frage, ob die schottische Unabhängigkeit nicht doch die Lösung dieses zeitgenössischen gordischen Knotens sein könnte.

Dr. Melanie Sully (65) ist britische Politologin und Publizistin, seit 2012 Leiterin des in Wien ansässigen Go-Governance-Instituts. Zuvor war sie von 1992 bis 2010 Professorin an der Diplomatischen Akademie in Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2015)

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