Dialog-Dilemma und Wiener Peinlichkeiten

Bundeskanzler Faymann würde das Abdullah-Dialogzentrum am liebsten zusperren. Dabei könnte eine solche Institution – mit erweiterter Satzung – über vernünftige Lösungsansätze für Gegenwartskonflikte nachdenken.

Wien ist eine Weltstadt: sicher, tolerant, begehrt. Ihre aus dem Orient stammenden Kaffeehäuser galten einst als Hort des originellen Diskurses. Ihre internationalen Topadressen – Bruno Kreiskys arabophilen Avancen sei Dank – zeugen von Weltläufigkeit. Und ihr gegenwärtiger Stolz – „Conchita!“ – ist blendende Prime-PR. „Je suis Queerqueen“, „Je suis Charlie“, und der weinende Prophet aus Paris ist natürlich auch cool.

Dass radikalisierte Jugendliche aus Meidling, Favoriten oder woher auch immer für den Propheten am Jihad-Highway umherirren, ist weniger hipp. Lakonisch bleibt der sonst so verwegene Karikaturist Manfred Deix, der auf die Frage des „Falters“, wie er den Propheten zeichnen würde, antwortet: „Gar ned. Ich bin ja nicht lebensmüde. Mir sind Religionen unsympathisch, und die Hyperreligiösen öden mich noch mehr an.“

Wien enerviert die Saudis

Keine despektierliche Zumpferl-Art also zum aktuellen Störfall: dem Disput um das Kaciid, das König-Abdullah-Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog. Allah sei Dank. Zumindest Deix bleibt den saudischen Potentaten nach dem Tod ihres greisen Monarchen in der Donaumetropole erspart.

Wien enerviert Riad mit dem Wirbel um die royale Initiative: Da erwirbt Saudiarabien im Oktober 2011 um 8,5 Millionen Euro ein Ringstraßenpalais und schließt mit den Regierungen in Wien sowie Madrid Verträge für ein Dialogzentrum; es finanziert Absolventen aus Harvard für muslimisch-christlich-jüdisch-buddhistisch-hinduistische Programme; es lässt im Umfeld auch mit den spanischen Partnern lukrative Deals folgen; es versorgt – nach lokaler Urgenz – auch eine gescheiterte Ministerin.

Die heimische Regierung nahm – und sie wusste: Das wahabitische Regime – der Öl-Krösus, der enge Verbündete der USA – ist erzreaktionär, repressiv, finanziert Terrorzellen; es lässt im Namen der Scharia verhaften, foltern, köpfen, auspeitschen; es verachtet Menschenrechte, diskriminiert Frauen, verfolgt Andersgläubige. All das nahmen Kanzler Werner Faymann und sein damaliger Vize, Michael Spindelegger, in Kauf, als der völkerrechtlich verbriefte Amtssitzvertrag unterzeichnet wurde. Ein bemerkenswert merkwürdiger Akt auf höchster Ebene. Aber wenn sogar Papst Benedikt XVI. seinen Segen erteilte und so der vormalige Fakultätssitz der katholischen Theologie zum interreligiösen König-Abdullah-Dialogzentrum wurde...

Heuchlerisch Trittbrett fahren

Wenn der Kanzler – nachdem mit dem Schicksal Raif Badawis, der für die Gleichwertigkeit der Religionen bloggte, einmal mehr die Normalität des Grauens bekannt wurde – jetzt die Schließung des Abdullah-Zentrums verlangt, sich mit möglichen Konsequenzen (Opec-Rückzug aus Wien) konfrontiert sieht und sich als nicht erpressbar erklärt; wenn sein Minister für Kunst und Kultur ein „klares Bekenntnis des Zentrums zur Religionsfreiheit“ einfordert und sein Klubobmann sekundiert, „angesichts des Terrors brauche das Land jetzt echte Dialogforen“: Dann ist das nur noch peinlich!

Wenn hingegen Amnesty & Friends anprangern, mobilisieren, fordern, dann ist das glaubwürdig und hilft den Opfern des drakonischen Scharia-Vollzugs. Aber heuchlerisch Trittbrett fahren, das geht gar nicht. Dass die Malaise mit dem unsäglichen „Enthauptungen nicht jeden Freitag“-Sager der schrillen Ex-Justizministerin des Regierungspartners begann, gehört zur Ironie der delikaten Causa.

Es ist symptomatisch: fahrlässiger Dilettantismus, parteipolitisches Geschiebe, billiges Taktieren grassieren weiter, obwohl die unruhigen Zeiten moralische Vernunft, souveräne Entscheidungen und kompetentes Handeln erfordern würden. Oberrabbiner David Rosen, der jüdische Vertreter im Vorstand des Zentrums, lässt tief blicken, wenn er das Niveau der Debatte um das interreligiöse und interkulturelle Dialogzentrum mit der aufgeheizten Stimmung eines Fußballmatches vergleicht, in dem Österreich auf Eigentor spiele.

Unberechenbare Welt

Und jetzt – nachdem Claudia Bandion-Ortner das Zentrum verlässt und, als wäre nichts gewesen, wieder Richterin wird, der Bundespräsident und der Kardinal an die dialogische Räson appellieren, der Novize im Außenamt einen Bericht über das Zentrum vorgelegt – jetzt also heißt es: Neuaufstellung, mehr Augenmerk auf Menschenrechtsverletzungen, mehr Transparenz. Warum erst jetzt? Wie wäre es, der Wahrheit ins Auge zu schauen?

Für mehr als ein halbes Jahrhundert war die Welt in unseren Breitengraden stabil und prosperierend. Jetzt – 25 Jahre nach der historischen Zeitenwende – wird sie unberechenbar und chaotisch: Gültiges wankt, Undenkbares geschieht, und die Sicherheit – die innere wie die äußere – ist brüchig. In dieser paradoxen Dynamik, in der theokratische Regime Säkularisten stützen, Tyrannen von Demokratie reden, Islamisten für westliche Militärinterventionen optieren, Terroristen Staaten ausrufen, werden auch Lösungsansätze paradox.

Das Abdullah-Zentrum könnte mit einer erweiterten Satzung – fern vom Status einer dubiosen Alibi-Institution – ein solcher sein. Beispielsweise mit der Förderung von Präventions- bzw Reintegrationsprojekten für jugendliche Jihadisten; der Aufarbeitung divergierender Rechtsschulen von Sunna und Schia; der Forcierung von Aufklärungsprogrammen über den Missbrauch von Religion zu Gewalt und Gewaltherrschaft. Das wäre couragiert, unorthodox kreativ. Ist es indes realistisch?

IS hat auch Riad im Visier

Insider vermuten im Zentrum ein innersaudisches Indiz wider den eigenen erzreaktionären wahabitischen Klerus. Der pocht auf die reine sunnitische Praxis der Scharia, schürt die Todfeindschaften mit den schiitischen Mullahs und Israel, versperrt den Weg in die Moderne, während die Internetgeneration – ob materiell verwöhnt und apolitisch oder engagiert und radikalisiert – längst in der globalisierten Welt lebt. Reformistische Kräfte wie der Medienmogul Prinz al-Walid bin Talal weichen das hermetische System auf.

Auch das Königshaus hat angesichts der fatalen Verläufe der arabischen Aufbrüche sowie der verheerenden Ereignisse im Irak und in Syrien erkannt, die jahrelange Praxis, den Jihad ins Ausland zu exportieren, um radikal islamistischen Gruppen im Inland den Wind aus den Segeln zu nehmen, müsse enden. Mit dem radikal atavistischen islamischen Staat, der letztlich auch die Paläste in Riad und in Kairo im Visier hat, erscheint indes die ultra-islamistische al-Qaida des saudischen Milliardärssohnes Osama bin Laden relativ barbarisch.

Irreal reale Welt. Sie kennt keine roten Linien. Riad, Bagdad, Damaskus, Teheran, Kairo, Kabul, Istanbul, Sarajewo, Paris, Wien – eine Welt. Und sie kommt sich in ihren auch quälenden Nachbarschaften immer näher. Ob es uns gefällt oder nicht.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DIE AUTORIN




Regina Strassegger (geboren 1955) studierte Geschichte in Graz, arbeitete danach als Entwicklungshelferin in Afrika. Ab 1989 Dokumentarfilmerin für den ORF. Sie berichtete über die politischen Umwälzungen im südlichen Afrika ebenso wie in Ost- und Südosteuropa und war auch als Wahlbeobachterin in Afrika und auf dem Balkan tätig. Ihre Filme wurden mehrfach ausgezeichnet. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2015)

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