Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als Gebot der Stunde

Drei Elemente einer politischen Richtungsänderung in Europa.

Die weltweite Finanzkrise blieb nicht ohne Auswirkungen auf Österreich. Die heimische Politik begegnete den Risken durch Konjunkturpakete und verhinderte soziale Verwerfungen. Die Reaktionen anderer Länder auf die Krise fielen unterschiedlich aus, aber der reine Fokus auf Konsolidierung der Staatsfinanzen dominiert seit etwa fünf Jahren die Politik der Europäer.

Die öffentlichen Haushalte konnten durch diesen Sparkurs („Austerity“) nicht wie erhofft saniert werden. Als „Kollateralschaden“ ist die Arbeitslosigkeit gestiegen. In den 28 EU-Mitgliedstaaten gibt es heute, je nach Berechnung, 25 bis 28 Millionen Arbeitslose, davon sechs bis sieben Millionen junge Menschen. Diese Situation ist inakzeptabel. Es ist ein Gebot der Stunde, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als höchste Priorität der Europapolitik zu fordern!

Diese Forderung ist mehr als eine wirtschaftspolitische, sie ist eine gesamtgesellschaftliche. Mangelndes Vertrauen in die Politik kann zu autoritären Systemen oder umgekehrt zu Chaossystemen führen. Hohe Arbeitslosigkeit unterläuft die soziale Bindungswirkung der Politik und bringt die Demokratie in Gefahr. Die Bürgerinnen und Bürger würden dem europäischen Modell mehr abgewinnen, wenn sie seinen Beitrag zur Beschäftigung deutlicher als bisher erkennen könnten.

Politik des billigen Geldes

Die Europäische Zentralbank und die Oesterreichische Nationalbank beanspruchen mit Recht wirtschaftspolitische Verdienste. Die jetzige „Politik des billigen Geldes“ beziehungsweise Niedrigzinspolitik kann wichtige flankierende Maßnahme zu anderen Impulsen sein. Allein kann sie keinen Aufschwung herbeiführen, da die Unternehmer trotz günstiger Kredite keine Investitionen tätigen, wenn sie zu geringe Nachfrage erwarten.

Konsumenten antworten auf eine Krise ebenfalls zurückhaltend. Hier muss die Politik „einspringen“. In diesem Sinne hat der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein Investitionsprogramm von 300 Milliarden Euro für Infrastruktur, Energie und Forschung vorgestellt.

Kurswechsel überfällig

Manche Experten bezeichnen Junckers Pläne als „too little, too late“. Eine positivere Sicht wäre angebracht. Man kann es dabei aber nicht bewenden lassen. Der Führungswechsel in der Kommission sollte Anstoß sein, die Grundsätze europäischer Wirtschaftspolitik fundamental zu überdenken.

Welche Elemente müsste eine solche Richtungsänderung beinhalten? Erstens die Relativierung des „Austerity“-Kurses, gegenwärtig am stärksten vertreten durch Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Deutsche Bundesbank.

Zweitens, und genauso wichtig, eine neue Form von Gemeinsamkeit, was sprachlich schon im Wort Union steckt. In der EU leben 500 Millionen Menschen, mehr als etwa in den USA. Dieses enorme Potenzial wird ergänzt durch eine namhafte kulturelle Tradition. Um im globalen Wettbewerb bei Erhalt unseres Sozialniveaus bestehen zu können, muss dieses Potenzial besser genützt werden. Hier besteht Nachholbedarf, weil sich nicht alle Mitgliedstaaten der Gemeinsamkeit ausreichend verschrieben haben. Ein Wachstumsprogramm, das nicht aus einem „europäischen Guss“ ist, sondern von nationalen Egoismen geprägtes Stückwerk, wird seine Wirkung verfehlen.

Drittens: Wenn die Gewerkschaften die Themenführerschaft übernehmen und Zukunftsinvestitionen erkämpfen, werden sie einen unverzichtbaren Beitrag leisten.

Dr. Franz Vranitzky war von 1986 bis 1997 österreichischer Bundeskanzler. Der vorliegende Gastkommentar entstand auf Basis eines Forschungsgesprächs der Arbeitsgemeinschaft für wissenschaftliche Wirtschaftspolitik (Wiwipol).


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2015)

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