Die eindimensionale Welt des Christian Ortner

Mit der Gleichsetzung von rechts und links operierte einst schon Friedrich von Hayek.

Wer rechts und links gleichsetzt, hat eine beschränkte Wahrnehmung. In seinem „Quergeschrieben“ vom 29. Jänner stellt Christian Ortner fest: Marine Le Pen begrüßt den Wahlsieg der Syriza, der „Ökonom Stephan Schulmeister“ auch, und der Syriza-Koalitionspartner ist Antisemit. Also gehören wir alle in einen Topf: „Da wächst (...) ideologisch zusammen, was nur scheinbar nicht zusammengehört, nämlich rechtspopulistische Parteien (...) auf der einen Seite und auf der anderen (...) hiesige Sympathisanten im linken Lager. Nationaler Sozialismus meets internationalen Sozialismus – passt schon.“

Mit dieser Gleichsetzung von rechts und links hat Hayek schon 1944 operiert: Auf der einen (guten) Seite stünden die Marktliberalen, auf der anderen (bösen) die Sozialisten aller Art, egal, ob Nazis, Kommunisten oder Sozialdemokraten – sie alle führten auf den „Weg zur Knechtschaft“ (= Sozialstaat). Doch die Wahrheit ist konkret: Marktliberale Weltbilder entfesseln die Finanzmärkte und führen immer in Krisen. Prosperität gelingt nur, wenn Unternehmertum höher gestellt wird als Finanzalchemie und der Staat eine aktive Wirtschafts- und Sozialpolitik betreibt.

Verdrängte Mitschuld

Beispiele: Die durch den Liberalismus legitimierte Finanzspekulation führt zum Börsenkrach 1873 und danach in eine Depression. Überwunden wird sie durch Schaffung des Sozialstaats und regulierte Finanzmärkte (Belle Époque). Nach Finanzboom und Börsenkrach (1929) verursachen Sparpolitik und Lohnkürzungen die Große Depression. Nach 1945 ermöglichen regulierte Finanzmärkte und der Ausbau des Sozialstaats den „Wohlstand für alle“.

Seit den 1970er-Jahren dominiert wieder das neoliberale Weltbild: Entfesselte Finanzmärkte führen 2008 in die große Krise, darauf reagiert die Politik wie in den 1930er-Jahren. Um den systemischen Charakter der Krise (und ihre Mitschuld) zu verdrängen, machen die Eliten aus Griechenland den Sündenbock. An Missständen fehlt es dort nicht, aber das Land hat über 50 Jahre wirtschaftlich mithalten können. Erst ab 2009 wurde es durch Finanzspekulation, Wucherzinsen, Sparpolitik und Lohnkürzungen ruiniert.

Im Topf mit Marine Le Pen

All das steht weiter auf dem EU-Programm: Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durch Sozialabbau und Lohnkürzungen („Strukturreformen“). Der Wahlsieg von Syriza gibt den Eliten die Chance, ihre „Navigationskarte“ zu überdenken (sie ist im Ganzen falsch), und deshalb begrüße ich ihn. Auch die meisten Syriza-Wähler sind keine Linken, sondern verzweifelte Menschen, die proeuropäisch denken, aber die Troika-Politik nicht mehr ertragen können.

Was aber tun, wenn sich ein Volk für eine nicht „marktkonforme“ Politik entscheidet (Allende, Tsipras)? Hayeks Lösung: „I prefer a liberal dictator to democratic government lacking in liberalism“, meinte er bei einem Pinochet-Besuch. Im Falle von Griechenland haben es die „marktkonformen Demokraten“ leichter als in Chile: Man braucht nur den Geldhahn zuzudrehen – gestorben wird unspektakulär (die Kindersterblichkeit ist um 43 Prozent gestiegen).

Ich im gleichen Topf wie Marine Le Pen – ganz zufrieden war Ortner damit nicht. Also fügt er für meinen (vermeintlichen) Arbeitgeber hinzu (ich bin seit 2012 in Pension): „Dass sich Schulmeister offen zu Syriza bekennt, entbehrt nicht einer gewissen Delikatesse. Denn Schulmeisters Arbeitgeber, das Wifo, wird ja von jener Republik Österreich alimentiert, deren Enteignung auf dem Wege eines Schuldenschnitts Syriza bekanntlich anstrebt.“

Gelebter Liberalismus.

Stephan Schulmeister (*1947) ist Wirtschaftsforscher in Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2015)

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