Eindringlinge und giftige Streifen am Himmel

Die Pediga-Bewegung entpuppt sich als eine politische Sternschnuppe. Neben abstrakter Fremdenfeindlichkeit und politikverdrossenem Wutbürgertum wurde sie auch von Verschwörungstheorien angetrieben.

Zentrale Elemente der bereits wieder stark abgeklungenen Pegida-Proteste in Deutschland waren nur dem Anschein nach die öffentliche Wahrnehmung von Meinungsfreiheit und Bürgerrechten. Im Kern stellten sich hier Menschen gegen Menschen, die die bedrohliche „Islamisierung des Abendlandes“ verkörpern. Die Pegida-Parolen waren zugleich Ausdruck einer Protesthaltung gegenüber dem Establishment. Diese Grundhaltung ist freilich oft auch der Nährboden für Verschwörungstheorien.

Es muss eigenartig sein, im Glauben zu leben, dass es Zusammenschlüsse von Menschen gibt, deren Machtfülle es ihnen erlaubt, unser Leben wie in einem Potemkinschen Dorf ablaufen zu lassen. Da werden Außerirdische in einem Gefängnis in der Wüste von Nevada eingesperrt, die Mondlandung war bloß ein inszeniertes Spektakel, Elvis lebt, und Bielefeld ist eine frei erfundene Stadt. Und das ist nur ein kleiner Aufriss gängiger verschwörungstheoretischer Kernbotschaften.

Die Chemtrail-Gläubigen

Ein wenig subtiler, aber immer noch sehr lustig ist die Sache mit den Chemtrails: Wenn die Kondensstreifen der Flugzeuge im Abendlicht erstrahlen und einmal etwas länger am Himmel verweilen, dann hat das (so die überzeugte Gemeinschaft der Chemtrail-Gläubigen) nicht etwa Ursachen wie Windstille gemeinsam mit bestimmten Temperatur- und Luftfeuchteverhältnissen, nein, nein: „Heute sprühen sie wieder!“

Rasend verbreiten sich die Fotos in sozialen Netzwerken und über einschlägige Websites als „Belege“ für eine weitere Attacke auf unsere Atmosphäre. Allerlei Chemikalien werden da (von Nasa, CIA, Mossad, Nato – so genau nimmt man es nicht) vermeintlich dem Kerosin zugesetzt und von Jets versprüht, um – es gibt viele gemutmaßte Zwecke – „schleichende Vergiftung“, „künstliche Wolken gegen die Erderwärmung“, „versteckte Entsorgung von Chemieabfällen“ zu bewerkstelligen.

Das World Wide Web quillt dann über vor Zitaten irgendwelcher irrlichternder Gestalten, die sich da auch schon ihre Gedanken gemacht haben wollen. Und man wisse ja schließlich nichts Genaues, man könne das nicht beurteilen. Dieses Mit-aller-Kraft-Bewahren einer minimalen Restwahrscheinlichkeit, dieses Nicht-zur-Gänze-ausschließen-Können ist ganz wichtig.

Dieser Schwachsinn ist nicht umzubringen, schließlich hat ja auch schon jede und jeder einmal diese Streifen am Himmel gesehen. Egal, welche Stellen und Personen sich da korrigierend und um Versachlichung bemüht äußern, egal, in welchen Medien – „Lügenpresse!“ schallt es sogleich aus tausenden wütenden virtuellen Kehlen.

Aufklärung? Expertenmeinungen? Gegenbeweise? Nein danke! An der Entkräftung dieses selbst geschaffenen Paralleluniversums, an der Entzauberung dieser Scheinrealität herrscht kein Interesse. Klar, denn die Vorstellung, man sei den Einflüssen und Machenschaften einer allmächtigen Elite hilflos ausgeliefert, schafft natürlich auch eine Komfortzone der eigenen Schuld-, Verantwortungs- und Chancenlosigkeit.

So viele Außenfeinde

Und dann noch dieses Gruppenerlebnis, gemeinsam diese Ohnmacht zu teilen – das macht dann doch irgendwie auch stark. Ja, so sind sie, die ohnmächtigen Wutbürger.

Den geheimen Mächten ausgeliefert, aber dennoch in gemeinsamer Stärke geeint in ihrer Wut gegenüber dem gemeinsamen Außenfeind: Sei dieser Feind nun die Chemtrailsprüher, die EU-Bürokraten („die EU“ – das ist ja im Grunde auch so ein obskurer Geheimbund, der Glühbirnen verbietet, der Atomkraft verfallen ist und dem Chlorhuhn ebenso wie dem Flüchtlingsstrom Tür und Tor öffnet) oder die Regierenden insgesamt.

Zweckentfremdete Parolen

Angesichts des islamistischen Terrors kann niemand den durch ihn ausgelösten Ängsten oder Befürchtungen ihre Legitimität absprechen. Am Beispiel Pegida wird jedoch deutlich, dass der Sog einer Protestbewegung, wenn sie Charakterzüge einer Verschwörungstheorie anzunehmen beginnt, Menschen und Werte mit sich reißen kann. Abstrakte Fremdenfeindlichkeit und politikverdrossenes Wutbürgertum bildeten Wesenskerne von Pegida und damit zugleich den Keim für eine Bewegung, die in ihren Grundzügen Sympathisanten von Verschwörungstheorien ähnelt.

Menschen, die angesichts des Terrors im Grunde für die angegriffenen Werte „freie Meinungsäußerung“, „säkulares Staatsgefüge“ sowie für die „Rechte der Bürgerinnen und Bürger“ auf die Straße gehen und sich in einem gemeinsamen Marsch wiederfinden, werden, ehe sie sich versehen, mitsamt ihren Anliegen vereinnahmt. Keine Frage, eine belastbare, glaubwürdige, gelebte Kompatibilität des europäischen Wertekanons (vor allem der Bürgerrechte und der Meinungsfreiheit) mit dem Islam herzustellen ist eine immense Herausforderung.

Aber: Die von wutbürgerlichen Pegida-Demonstranten vereinnahmten „Wir sind das Volk“-Rufe waren eben nicht Ausdruck des Eintretens für Bürgerrechte, wie sie es in den letzten Monaten der DDR waren; und ihre „Wir sind Charlie“-Transparente waren auch keine Plädoyers für die Meinungsfreiheit in Europa. Sie wurden vielmehr zweckentfremdet und missbräuchlich eingesetzt.

Aufklärung? Alles Lügenpresse!

Der islamistische Terror verhilft so fremdenfeindlichen Bewegungen zu einem Eintritt in den gesellschaftlichen Mainstream. Pegida-Proteste richten sich gegen Moslems an sich (denn von ihnen geht die als Bedrohung empfundene Islamisierung ja wohl aus) und vor allem gegen das Establishment, das ihre Präsenz zulässt.

Relativierende Fachmeinungen? Lösungsansätze? Kritischer Diskurs? Alles Lügenpresse! Wir lassen uns das Feindbild nicht zerstören. Es ist kein Zufall, dass die Schnittmenge aus den Wutbürgern unter den Pegida-Sympathisanten und jenen, die anfällig für Verschwörungstheorien sind, auffallend groß ist. Wenngleich sie selbst kaum unmittelbar betroffen sind, eint sie doch der ängstliche Blick auf eine von einer ungeliebten Autorität geduldete Bedrohung.

Die Modernisierungsverlierer mit Lufthoheit über den Stammtischen bedienen sich da jedenfalls klassischen – sie würden sagen – „Gutmenschenvokabulars“. Unter dem Deckmantel, das Voltaire'sche Credo („Ich bin nicht Ihrer Meinung, werde aber alles dafür tun, dass Sie diese äußern können“) zu verteidigen, treten sie ebendieses Erbe der europäischen Aufklärung mit Füßen.

Natürlich nahm Pegida Bürgerrechte und auch das Recht auf Meinungsfreiheit in Anspruch. Das ist auch legitim. Sie tat dies jedoch nicht, um für ebendiese einzutreten, sondern gab nur der althergebrachten dumpfen Wut auf „die da oben“ und „die anderen“ einen perfiden, verlogenen Anstrich.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR


Thomas Jakl (geboren 1965) ist Biologe und Erdwissenschaftler. Er arbeitete bis 1991 an der Uni Wien, wechselte dann ins Umweltministerium. Heute leitet er im Landwirtschaftsministerium die Abteilung Chemiepolitik, Risikobewertung und Risikomanagement. Er ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des Umweltbundesamtes und war Vorsitzender des Verwaltungsrates der EU-Chemikalienagentur. [ Rita Newman ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2015)

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