Griechenland: Die Fakten sprechen für den Schuldenschnitt

Die Umschuldung wird nie mehr so günstig zu bewältigen sein wie derzeit.

Das Schuldenproblem Griechenlands hält die Eurozone, ja die Weltwirtschaft im Würgegriff. Der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras verlangt eine Umschuldung Griechenlands und im Ergebnis einen radikalen Schuldenschnitt. Forderungen dieser Art müssen in einer EU, die eben keine Solidar- und Transferunion ist, sondern eine Stabilitätsgemeinschaft, naturgemäß auf Widerstand stoßen.

Zwar ist das Solidaritätsprinzip vielfach im EU-Recht verankert, doch gerade im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion wurden einer allzu großzügigen Deutung dieses Prinzips klare Grenzen gesetzt. Der Präzedenzwirkung eines laissez-faire sollte ein klarer Riegel vorgeschoben werden.

Und dennoch: Den Forderungen von Tsipras ist eine gewisse Überzeugungskraft nicht abzusprechen. Es sind einmal die Fakten, die für die Notwendigkeit eines Schuldenschnitts sprechen: Eine Staatsverschuldung von 175 Prozent des BIP ist nicht tragfähig. Die zur Bedienung dieser Schulden erforderlichen Wachstumsraten sind von Griechenland nicht erreichbar.

Wollte man Griechenland eine realistische Chance geben, müssten die Schulden wohl um nahezu die Hälfte reduziert werden. Ein Staatsbankrott Griechenlands und eine Rückkehr zur Drachme ist keine realistische Option: Ganz abgesehen davon, dass das EU-Recht keinen Austritt aus dem Euro vorsieht, wäre der Imageschaden für diese Währung enorm und die wirtschaftlichen Konsequenzen für den gesamten Euro-Raum völlig unberechenbar.

Schwache rechtliche Karte

Die letzthin eingetretene Stabilisierung des Euro-Raums war wesentlich auf die von Mario Draghi 2012 gemachte Zusage zurückzuführen, Krisenentwicklungen massiv und effektiv entgegenzuwirken. Ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro würde ein zumindest partielles Scheitern dieser Politik bedeuten. Griechenland versucht gegenwärtig auch die rechtliche Karte zu spielen und pocht auf eine Kriegsentschädigung Deutschlands. Griechenland, damals geschwächt von einem Bürgerkrieg, hat allerdings dem London Schuldenabkommen 1953 zugestimmt und damit rechtlich kaum mehr eine Handhabe, Forderungen gegenüber Deutschland zu erheben.

Im „europäischen Geist“

Gerade dieses Abkommen von 1953 sollte aber Modellcharakter für eine Lösung des griechischen Schuldenproblems haben. Deutschlands Vorkriegsschulden wurden um 50 Prozent reduziert, die Rückzahlung des Restbetrages auf Jahrzehnte erstreckt. Die unzumutbaren Reparationsforderungen nach dem Ersten Weltkrieg hatten Deutschland ausgeblutet und den Weg zum Totalitarismus geebnet. Die Nachsicht nach dem Zweiten Weltkrieg hat dagegen die Basis für das deutsche Wirtschaftswunder geschaffen. Von den Auswirkungen dieser Politik war die Staatengemeinschaft insgesamt betroffen.

Das „moral hazard“-Problem, die Gefahr der negativen Vorbildwirkung, wäre wohl vernachlässigbar: Es wäre wohl für keinen Staat des Euro-Raums erstrebenswert, den Weg der Tugendhaftigkeit zu verlassen und – in vager Hoffnung auf Umschuldung in einer extremen Krisenlage – die Erfahrungen Griechenlands mit Massenentlassungen, Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, weitgehender Beseitigung des Sozialstaats und massenhafter Auswanderung als letzter Ausweg nachzuexerzieren.

Die Umschuldung Griechenlands wird so oder so erfolgen: Sie wird nie mehr so günstig zu bewältigen sein wie jetzt. Sie wäre auch Ausdruck des vielbeschworenen „europäischen Geistes“, von welchem das europäische Integrationsprojekt letztlich lebt.

Peter Hilpold ist Professor für Völkerrecht, Europarecht und Vergleichendes Öffentliches Recht an der Universität Innsbruck.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2015)

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