Höchste Zeit, in der Stadtpolitik neue Wege zu gehen

SPÖ hängt in Wien in den Seilen, aber der Machtwechsel dürfte ausbleiben.

Angela Merkel spielt in der Weltpolitik derzeit in der ersten Reihe mit. Daheim ist sie anerkannte Kanzlerin, ihre Partei ist programmatisch gut aufgestellt. Nur in den Großstädten ist die CDU bei Bürgerschaftswahlen, siehe zuletzt Hamburg, weg vom Fenster. Und ziemlich ratlos, wie man gegensteuern könnte.

Die Frage nach einer erfolgreichen Stadtpolitik ist dabei auch in Österreich höchst relevant. Generell haben sowohl ÖVP wie SPÖ ein Problem mit der urbanen Wählerschaft. Die Zahl der Stammwähler unterliegt hier einem besonderen Schrumpfungsprozess.

Zieht es auf roter Seite viele Wähler vornehmlich zur FPÖ, scheinen neoliberale Bewegungen und auch die Grünen interessant und attraktiv für eine einst den Schwarzen zurechenbare Klientel. Das wiederum hat zur Folge, dass Sozialdemokraten plötzlich einen Schwenk in Richtung FP-affiner Positionen vornehmen, und Christdemokraten sich einen liberalen Anstrich geben wollen – in der Hoffnung, verlorene Weggefährten zurückzuholen. Die Folge ist, dass in beiden Parteien Konturen verschwimmen und der Populismus die Oberhand gewinnt.

Das ist ein Aspekt, der gerade beim laufenden Evolutionsprozess der Volkspartei nicht vergessen werden sollte. Die ÖVP ist gerade dabei, eine Rundumerneuerung ihres Parteiprogramms vorzunehmen, der Vizekanzler will sich als vertrauenswürdige Führungspersönlichkeit etablieren. Der Applaus, den die Partei und ihr neuer Obmann schon dafür erhielten, dass sie sich von einigen alten Positionen verabschiedeten und dem Trend der Zeit folgen wollen, kann rasch wieder verebben.

Mehr Mut zum Risiko

Was eine Partei braucht, ist weniger ein Weichzeichner, sondern ein Profil, das auch Ecken, Kanten und ein festes gesellschaftspolitisches Fundament hat. Dementsprechend könnte man durchaus mehr Mut zum Risiko, zu inhaltlichen Kontroversen zeigen. Daran sollte man bei der Auswertung des Fragenkatalogs zur Zukunft der Volkspartei denken. Dass so mancher eingefleischte Parteigänger der ÖVP gegen seine persönliche Einstellung bei etlichen der 39 Fragen ein Nein ankreuzte, sollte zu denken geben.

Beispiel Wiener Neustadt

Es gäbe durchaus Themen, bei denen man viel schärfer hineinfahren sollte, wo es angebracht wäre, nicht nur Anpassungen, sondern Veränderungen vorzunehmen. Spitzenleistungen erzielt man nicht, indem man sich bloß auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einlässt.

Damit sind wir zurück bei der Stadtpolitik. Dass es gelungen ist, in Wiener Neustadt nach 70 Jahren den SP-Bürgermeister abzulösen, war nicht nur taktisches Verhandlungsgeschick, sondern auch Resultat einer konsequenten Oppositionspolitik, die schlussendlich Wähler überzeugte. Was in Wiener Neustadt möglich war, müsste auch in Wien machbar sein. Leider noch unwahrscheinlich bei den kommenden Wahlen, obwohl die SPÖ bereits in den Seilen hängt.

Es ist höchste Zeit, in der Stadtpolitik die eingefahrenen Bahnen zu verlassen, die Bürger mit visionären Themen und Lösungsvorschlägen zu konfrontieren, neue Wege der Umsetzung zu suchen. So wäre es in Wien notwendig, nicht nur verbindlich und nett aufzutreten und zu hoffen, demnächst als Beiwagerl der Mehrheitspartei fungieren zu dürfen, sondern sich selbstbewusst zu präsentieren, die Diskussionen zu bestimmen, den Willen zum Gestalten und zum Kurswechsel erkennbar zu machen. Allein schon der Herrschaftsanspruch des Wiener Bürgermeisters und seiner Lakaien stellt eine Herausforderung dar, um auf Veränderungen in den politischen Strukturen zu drängen.

Mag. Herbert Vytiska (* 1944) war 15 Jahre lang Sprecher des früheren ÖVP-Chefs Alois Mock. Heute ist er Politikberater in Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2015)

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