Nennen wir das Kind beim Namen!

Michael Häupls 180-Grad-Schwenk in Sachen Vermögensteuern ist in Wahrheit nur ein rhetorischer Trick.

Bürgermeister Michael Häupl hat also einen angeblichen 180-Grad-Schwenk der SPÖ in Sachen Vermögensteuer bewirkt: Man könne auf Vermögenssubstanzsteuern verzichten, falls neue Vermögenszuwachssteuern wie die Erbschafts- und Schenkungssteuer geschaffen werden. Aber diese Neuorientierung ist in Wahrheit nur ein rhetorischer Trick.

Die Volkswirtschaftslehre unterscheidet Stromgrößen, Flows (Zuwächse etwa an Gütern oder Dienstleistungen, die in einem bestimmten Zeitraum erzeugt werden), und Bestände, Stocks, die zu einem Stichzeitpunkt gemessen werden: Firmenvermögen, Immobilien, Aktien etc. Einkommensteuern setzen an den Flows an, Vermögensteuern an den Stocks.

Die beiden sind verwandt, denn Flows sind Erträge der Stocks. So sind Mieteinkünfte Erträge aus Immobilienvermögen, Zinsen von Ersparnissen, Arbeitseinkommen werden als Erträge des „Humankapitals“ interpretiert. Einkommensteuern besteuern sämtliche Formen von Vermögenszuwächsen. Das entspricht in etwa der Quellentheorie des Einkommensteuerbegriffs.

Das österreichische Steuerrecht sieht das genauso. Sein Einkommensbegriff basiert auf der Quellentheorie. Sieben Einkunftsarten sind darin aufgelistet, alles Flow-Größen. Da diese Flows Erträge aus Stocks sind, kann man sie auch als Vermögensertragssteuern interpretieren.

Schwierige Abgrenzung

Im Gegensatz dazu besteuern Vermögensteuern die Vermögenssubstanz unabhängig vom Ertrag (Beispiel: Grundsteuer). Erbschafts- und Schenkungssteuern versteuern Bestände unabhängig von Zuwächsen, sie fallen nach diesem Konzept unter die Vermögensteuern.

Manchmal ist die Abgrenzung zwischen Vermögenssubstanz und -zuwachs eine Gratwanderung. Die Immobilienertragssteuer war als Zuwachssteuer gedacht, sie ist real aber auch teils eine Substanzsteuer, da sie rein inflationäre Wertsteigerungen besteuert. Auch die Zinsertragssteuer ist inzwischen – bei negativen Zinsen auf Sparbucheinlagen – längst eine reine Substanzsteuer. Ihr Aufkommen ist allerdings sehr gering.

Fortsetzung des SPÖ-Kurses

Vermögensteuern zielen direkt auf die Besteuerung der Vermögenssubstanz. Ein Problem dabei war und ist, dass die Steuerpflichtigen die Vermögensteuern oft nur zahlen konnten, indem sie das Vermögen verkauften. Eine solche Steuer erfreut sich nur geringer Beliebtheit. So kam man auf die praktische Idee, das Vermögen erst bei der Vererbung/Schenkung zu besteuern, dann allerdings gleich mit viel höheren Sätzen. Aus der Sicht des Fiskus macht dies keinen Unterschied.

Diese Besteuerung wirkt oft weniger desaströs, kann allerdings auch schwere Folgen haben: etwa, wenn ein Unternehmen zerschlagen werden muss. Um den hässlichen Ausdruck der Vermögenssubstanzsteuer zu umgehen, ersann man den nicht weniger hässlichen der Reinvermögenszuwachstheorie, wobei man sich in die Sicht des Beschenkten begibt und den Stock – das vererbte Vermögen – als Flow umdeutet. Solange man aber das Wesen der Dinge sieht, bleibt ein Stock ein Stock, ein Flow ein Flow und die Erbschafts- bzw. Schenkungssteuer eine Vermögenssubstanzsteuer. So sieht das die österreichische Rechtsprechung.

Das Konzept, auf dem Häupls Vorschlag beruht, dient ausschließlich einem politischen Zweck: das Vermögen zu besteuern. Der angebliche 180-Grad-Schwenk ist tatsächlich die lineare Prolongation des schon lange gefahrenen Kurses. Man mag in Österreich zusätzliche Vermögenssubstanzsteuern einführen. Dann sollte man sie aber auch beim Namen nennen.

A.o. Prof. Dr. Eva Pichler lehrt Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2015)

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