Der Mythos um das österreichische Pensionssystem

Es wird immer schwieriger, den Generationenvertrag heute einzuhalten.

Erich Foglar, Präsident des ÖGB, hat zuletzt bei der ORF-Diskussion „Im Zentrum“ am vergangenen Sonntag einen alten Mythos wieder aufgewärmt. Die explodierenden Zuschüsse der Steuerzahler zum Pensionssystem – zwölf Milliarden Euro heuer und schon fast 15 Milliarden im Jahr 2019 – sollen uns nicht beunruhigen. Denn unser System sei von Anfang an so konzipiert worden, dass ein Drittel der Pensionskosten von Arbeitnehmerbeiträgen gedeckt werde, ein Drittel von Arbeitgeberbeiträgen und ein Drittel von den Steuerzahlern in Form ebendieser Zuschüsse (offiziell Bundesbeitrag).

Dieser Mythos ist aber weder in den historischen Materialen zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) von 1956 noch im Sozialversicherungs-Überleitungsgesetz von 1947 noch in der bisherigen Judikatur verankert. Das ASVG wurde nämlich im Sinne des Äquivalenz- bzw. Versicherungsprinzips eingeführt. Leistungen sollen also vorrangig durch Versicherungsbeiträge und nicht durch Steuern der Allgemeinheit finanziert werden. Das belegen schon allein die Beitragserhöhungen in den 1970er-und 1980er-Jahren.

Seit 1956 hat sich der Pensionsversicherungsbeitrag von elf Prozent (Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag) auf heute 22,8Prozent mehr als verdoppelt, weil der Gesetzgeber den Mehraufwand eben nicht vom Steuerzahler abdecken lassen wollte.

Hilfeschrei der Gesetzgeber

Erst 1993 hat man dem ASVG den §79a hinzugefügt, wonach der Bundesbeitrag „maximal ein Drittel der Gesamtkosten“ betragen darf. Wahrscheinlich beruht der heutige Mythos auf diesem damaligen verzweifelten Hilfeschrei der Gesetzgeber, die angesichts explodierender Kosten und der bereits überbordenden Versicherungsbeiträge eine gesetzliche Notbremse ziehen mussten. Später wurde diese durchaus sinnvolle Notbremse übrigens auf gut österreichisch durch die bis heute zahnlose Pensionssicherungsreformkommission ersetzt.

Problem Demografie

Dass der Generationenvertrag heute trotz zahlreicher Beitragserhöhungen kaum mehr eingehalten werden kann und der Steuerzahler künftig mehr zuschießen muss, liegt an der von den ASVG-Gründungsvätern nicht vorhergesehenen demografischen Entwicklung. 1956 entfielen 350 Pensionsbezieher auf 1000 Pensionsversicherte, heute sind es schon 620.

Es stimmt zwar, dass die Steuerzahler seit Beginn der ASVG-Zeitrechnung 1956 bei der Pensionsversicherung auch politisch in die Pflicht genommen wurden, vor allem in Form von Ersatzzeiten. Das ist ein grundlegender Unterschied. Ersatzzeiten werden politisch gewollt als „Dienstgeberbeiträge des Bundes“ für Arbeitszeiten, die als wichtig erachtet werden (Familienerziehungszeiten, Präsenz- und Zivildienstzeiten, Zeiten der Arbeitslosigkeit), vorab in das System eingezahlt. Das ist durchaus im Sinne eines nachhaltigen beitragsorientierten Pensionssystems. Denn Ersatzzeiten als quasi „Arbeitgeberbeiträge der Steuerzahler“ sind geplante (und planbare) Ex-ante-Einzahlungen und nicht unkontrollierte Ex-post-Ausfallshaftungen, die dem Budget durch mangelndes Controlling jedes Jahr einfach „passieren“.

Das Volumen dieser Ersatzzeiten ist nur knapp ein Fünftel der in die Höhe schnellenden „Ausfallshaftungen“ und wird sich auch in Zukunft laut jüngsten Prognosen halbwegs stabil entwickeln. Die Ausfallshaftungen hingegen werden sich von 2,5 auf über fünf Prozent des BIPs im Jahr 2050 bzw. 30 Mrd. Euro verdoppeln. Das ist ein „Blankoscheck der Steuerzahler“, der sicher nicht im Sinne der Gründungsväter des ASVG war.

Dr. Clemens Wallner ist wirtschaftspolitischer Koordinator der Industriellenvereinigung.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2015)

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