Russland und China - geeint gegen den Westen?

Wladimir Putin sucht in seiner jetzigen Isolation die Nähe zu Xi Jinping. Doch die beiden sind keine Partner auf Augenhöhe.

Manche Beobachter sind der Ansicht, im Jahr 2014 sei eine neue Ära der Geopolitik im Stil des Kalten Krieges eingeläutet worden. Die vom russischen Präsidenten Wladimir Putin initiierte Invasion in der Ukraine und die Annexion der Krim wurden von Europa und den USA mit Wirtschaftssanktionen beantwortet. Dies schwächte Russlands Verbindungen mit dem Westen und sorgte für verstärkte Bemühungen des Kreml, seine Beziehungen zu China auszubauen.

Die Frage lautet nun, ob es Russland gelingen wird, ein echtes Bündnis mit der Volksrepublik zu schaffen. Auf den ersten Blick erscheint das durchaus plausibel. Tatsächlich geht aus der traditionellen Theorie des Mächtegleichgewichts hervor, dass die Vormachtstellung der USA im Hinblick auf Machtressourcen durch eine chinesisch-russische Partnerschaft ausgeglichen werden sollte.

Noch überzeugender aber ist die Tatsache, dass es einen historischen Präzedenzfall einer solchen Partnerschaft gibt. In den 1950er-Jahren waren China und die Sowjetunion Verbündete gegen die USA. Nach der Öffnung der USA gegenüber China 1972 unter US-Präsident Richard Nixon verschob sich das Gleichgewicht wieder. Die USA und China kooperierten, um die als gefährlichen Machtzuwachs der Sowjetunion wahrgenommene Entwicklung einzudämmen.

Ein Neubeginn nach 1991

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 endete diese De-facto-Allianz zwischen den USA und China, und es kam zu einer erneuten Annäherung zwischen Peking und Moskau. Im Jahr 1992 erklärten die beiden Länder, eine „konstruktive Partnerschaft“ zu verfolgen. 1996 waren sie bei einer „strategischen Partnerschaft“ angelangt und im Jahr 2001 unterzeichnete man einen Vertrag über „Freundschaft und Kooperation“.

In den letzten Jahren arbeiteten China und Russland eng im UN-Sicherheitsrat zusammen. Um ihre Positionen zu koordinieren, nützten beide Länder diplomatische Rahmenstrukturen – etwa die BRICS-Gruppe der aufstrebenden Volkswirtschaften (gemeinsam mit Brasilien, Indien und Südafrika) sowie die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (gemeinsam mit Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan).

Putin begann mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping auf Grundlage ihrer gemeinsamen illiberalen Haltung und ihres Wunsches, der Ideologie und dem Einfluss Amerikas entgegenzutreten, eine gedeihliche Arbeitsbeziehung aufzubauen. Auch die Wirtschaftsbeziehungen scheinen Fortschritte zu verzeichnen. Im Mai 2014, kurz nach der Annexion der Krim, kündigte Russland den Abschluss eines ab 2019 über 30 Jahre laufenden Vertrages im Umfang von 400 Milliarden Dollar über die jährliche Lieferung von 38 Milliarden Kubikmeter Gas nach China an. Zu diesem zwischen dem staatlichen russischen Energieriesen Gazprom und dem staatlichen chinesischen Ölkonzern China National Petroleum Corporation abgeschlossenen Vertrag gehört auch die Errichtung einer 4000 Kilometer langen, in die chinesische Provinz Heilongjiang führenden, Gaspipeline.

Obwohl die genauen Kosten geheim bleiben, scheint Russland nach beinahe zehn Jahren Verhandlungen doch größere Zugeständnisse gemacht zu haben, um den Erfolg der Vereinbarung sicherzustellen. Überdies gab Gazprom im November bekannt, dass man ein Rahmenabkommen über die jährliche Lieferung von zusätzlichen 30 Milliarden Kubikmeter Gas in die Provinz Xinjiang abgeschlossen habe. Sollten die „östliche“ und die „westliche“ Pipeline fertiggestellt werden, ließen diese jährlich nach China gelieferten 68 Milliarden Kubikmeter Gas jene 40 Milliarden Kubikmeter verblassen, die Russland derzeit nach Deutschland – seinem größten Abnehmer – exportiert.

Signifikante Ungleichgewichte

Diese Entwicklung mag auf eine sich vertiefende bilaterale Beziehung hindeuten. Doch die Sache hat einen Haken: Diese Gasdeals verstärken ein signifikantes Handelsungleichgewicht, da Russland Rohstoffe nach China liefert und chinesische Erzeugnisse importiert. Außerdem gleichen diese Gaslieferverträge den Verlust des Zugangs zu westlicher Technologie nicht aus, den Russland braucht, um Energiereserven in der Arktis zu entwickeln und zu einer Energie-Supermacht zu werden – und nicht nur zur Tankstelle Chinas.

Tatsächlich reichen die Probleme eines chinesisch-russischen Bündnisses noch tiefer. Angesichts seines wirtschaftlichen, militärischen und demografischen Gewichts erzeugt China in Russland beträchtliches Unbehagen. Man bedenke die demografische Situation in Ostsibirien, wo sechs Millionen Russen auf der einen Seite der Grenze bis zu 120 Millionen Chinesen auf der anderen Seite gegenüberstehen.

Grenzen der Zusammenarbeit

Darüber hinaus stagniert die wirtschaftliche und militärische Stärke Russlands, während China in diesen Bereichen eine explosionsartige Entwicklung verzeichnet. Die Sorge hinsichtlich Chinas konventioneller militärischer Überlegenheit war wohl teilweise der Grund, warum Russland eine Militärdoktrin ausarbeitete, in deren Rahmen man sich explizit das Recht auf einen atomaren Erstschlag vorbehält.

Die Ungleichgewichte legen nahe, dass Russland einer engen militärischen Allianz mit China eine Absage erteilen würde. Aber auch Chinas Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Russland hat Grenzen. Schließlich hängt Chinas Entwicklungsstrategie von seiner fortgesetzten Integration in die Weltwirtschaft ab – und insbesondere vom zuverlässigen Zugang zu amerikanischen Märkten und amerikanischer Technologie.

Chinas KP ist hinsichtlich ihrer Legitimität auf starkes Wirtschaftswachstum angewiesen und wird das nicht für eine „autoritäre Allianz“ mit Russland aufs Spiel setzen.

Sogar im Rahmen multilateraler Foren ist die Beziehung zwischen Russland und China alles andere als ausgeglichen. Angesichts der Tatsache, dass Chinas Wirtschaft größer ist als die der anderen vier BRICS-Ökonomien zusammen, sind die Initiativen der Gruppe – einschließlich ihrer neuen Entwicklungsbank – Ausdruck des unverhältnismäßig großen chinesischen Einflusses.

Wahrung einer Distanz

Das chinesisch-russische Bündnis des 20. Jahrhunderts war ein Produkt der Schwäche Chinas nach dem Zweiten Weltkrieg und zu Beginn des Kalten Krieges. Aber sogar damals hielt die Allianz nur knapp zehn Jahre. Das China von heute ist stark, und man wird sich wohl nicht zu sehr in Russlands Nähe begeben, dessen Niedergang durch das schlechte Urteilsvermögen seines Staatschefs beschleunigt wird.

Wenn es um eine chinesisch-russische Allianz als Herausforderung für den Westen geht, wird sich die Geschichte also kaum wiederholen. Und im Gegensatz zu Putins Hoffnungen wird 2014 nicht als das Jahr erfolgreicher russischer Außenpolitik in Erinnerung bleiben.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier.

Copyright: Project Syndicate, 2015.

DER AUTOR


E-Mails an:debatte@diepresse.com

Joseph S. Nye (geboren 1937 in South Orange, New Jersey) ist Professor für Politikwissenschaft an der Harvard University. Er war Vorsitzender des National Intelligence Council (1993–94) und stellvertretender US-Verteidigungsminister (1994–95). Nye ist Vorsitzender des Global Agenda Council on the Future of Government des Weltwirtschaftsforums. Soeben ist sein neues Buch erschienen: „Is the American Century Over?“ [ Project Syndicate ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2015)

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