Die grünen Moralapostel reiten wieder

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Ständig preschen die Grünen mit Vorschlägen für neue Normen, Gebote und Verbote vor. Der letzte Coup: ein Rauchverbot für die unter 18-Jährigen. Die Zivilgesellschaft droht an dieser Reglementierungswut zu ersticken.

Die Grünen reiten wieder. Wie immer stehen sie an erster Stelle, wenn es um die Normierung, Reglementierung und Gängelung der Zivilgesellschaft geht. Während die Zurückhaltung der Partei groß ist, wenn es um Maßnahmen gegen die menschenverachtende Deregulierung der Wirtschaft und die Freisetzung der Destruktivkräfte des Marktes durch Globalisierung und Liberalisierung des Handels geht, sind ihre Fantasie und auch ihr Tatendrang unbegrenzt, wenn sie dem kleinen, machtlosen Bürger das Leben durch Gebote und Verbote verderben kann.

Was die Grünen seit Jahren vorführen, ist die Politik des kleinen Feiglings, der vor den Mächtigen buckelt und die Schwachen drangsaliert. Die Grünen sind herabgekommen zu einer moralisierenden Bobo-Bürger-Bewegung, die ihre softifizierten und pazifierten Kuschelwerte über die Freiheit und Würde des Menschen stellt.

Jeder Trieb ist suspekt

Es ist ein kraftloser Moralismus, dem jeder unkontrollierte Trieb, jede spontane Lebensäußerung, jeder kleine Exzess suspekt sind. Er ist angeekelt von der ungestümen, stürmischen, heißblütigen Körperlichkeit der Jugend und vergöttert die leblose Vernunft des abgeklärten und abgestumpften Alters. Die Altersvernunft wird zur Norm erhoben und den Jungen per Dekret übergestülpt.

So wird die Autonomie des Einzelnen am Altar eines autoritären Kommunitarismus der abgestandenen Erwachsenheit geopfert, der versucht, die Menschen in eine tyrannische Wertezwangsgemeinschaft hineinzudrängen, die mehr an die dörfliche Enge der 1950er-Jahre als an die Offenheit und Freiheit des urbanen Pluralismus der Gegenwart gemahnt.

Der nächste große Wurf, um vor allem den jungen Menschen die Zwangsjacke des grünen kleinbürgerlichen Fürsorgestaates überzustreifen, wird das Rauchverbot für alle unter 18-Jährigen werden. Obwohl man der Jugend zumutet, sich ab dem Alter von 16 Jahren an einer moralisch total verkommenen und programmatisch hohlen Demokratie zu beteiligen, die nicht mehr als die PR-Agentur von international agierenden Konzernen und Wirtschaftsorganisationen ist, will man sie in Zukunft von der Polizei verfolgen lassen, wenn sie sich im Park einen Glimmstängel anzündet. Und schon ab dem Kindergarten soll dem Nachwuchs der reflexive Umgang mit Speisen, Getränken, Genussmitteln und so weiter antrainiert werden.

Selbstkontrolle statt Genuss

Es soll nicht mehr vorkommen, dass ein junger Mensch sich ein paar Bier reinkippt, genüsslich an einer Zigarette zieht, Softdrinks konsumiert oder sich gar am fetten Fleisch des Schweins labt. Genuss soll überhaupt durch Reflexion und Selbstkontrolle ersetzt werden. Selbstkontrolle und Selbstoptimierung sollen an die Stelle der Spontanität gesetzt werden, das Nützliche und darum Richtige soll alles Unnütze und darum vermeintlich Falsche aus dem Weg räumen.

So wird an einer Welt gebastelt, die nur mehr öde und langweilig ist, weil alles Tun und Handeln der Menschen vorhersehbar und berechenbar, weil rundum grundvernünftig, sein wird. Man fragt sich schon, warum ein 16-Jähriger nicht das Recht haben soll, Tabak zu genießen, auch wenn er damit seine Gesundheit schädigt? Und wenn die Grünen den 16-Jährigen noch nicht für reif genug dafür halten, eine autonome Entscheidung für oder gegen ein Suchtmittel zu treffen – warum halten sie ihn dann für reif genug, an Wahlen teilzunehmen? Vielleicht deshalb, weil sie überproportional vom Wahlverhalten der Jungen profitieren?

Jedenfalls scheint es notwendig zu sein, die Diskussion über das Niveau der quälend primitiven Polit-PR zu heben, der es ja doch nur um politische Kleinmünzerei auf Kosten von moralisch, rechtlich und ökonomisch schwachen Bevölkerungsgruppen geht. Anstelle dessen wäre ein interdisziplinärer Diskurs darüber zu führen, ab welchem Lebensalter von einem autonomen, zu selbstverantwortlichen Entscheidungen fähigen Individuum gesprochen werden kann.

Kommt dieser Diskurs zum Schluss, dass 16-Jährige das noch nicht sind, so muss man dann dieser Gruppe konsequenterweise nicht nur das Rauchen verbieten, sondern ihr gleich auch das Wahlrecht wieder entziehen.

So wie einst in der DDR

Sollte nun jemand auf die Idee kommen zu behaupten, dass der junge Mensch unter 18 Jahren reif sei für politische Entscheidungen, aber noch nicht für eine freie Entscheidung über den Konsum von Suchtmitteln, dann muss der unter 18-Jährige selbst unter dieser Prämisse sein Wahlrecht verlieren. Denn es könnte sich ja eine Partei den Wahlen stellen, die für das Beibehalten des Rauchens ab 16 Jahren eintritt und damit von den jungen Menschen eine Entscheidung verlangt, für die sie noch nicht erwachsen genug sind. Bis in die 1990er-Jahre hat man in der Jugendsoziologie noch von der beschleunigten Entwicklung der Jugend gesprochen. Das bedeutet, dass die moderne Jugend schneller erwachsen wird als frühere Jugendgenerationen. Diese Entwicklung ist zuletzt gestoppt worden.

Für diese These gibt es vielfältige empirische Belege. Ein besonders eindrucksvoller: die Elterntage an deutschen Universitäten, an denen Erwachsene mit ihren volljährigen Kindern an der Hand die zukünftige Ausbildungsstätte besuchen. Oder österreichische Universitäten, die ihre Studierenden dadurch infantilisieren, dass sie in den Aulen Tafeln mit den Jahrgangsbesten aushängen. Das erinnert an den „Mitarbeiter des Monats“ in DDR-Betrieben und an das bravste Kind der Woche, dessen Konterfei im Eingangsbereich der Kindergärten der 1960er-Jahre gerne präsentiert wurde.

Die neuen Konservativen

Wir gehen offensichtlich rückwärts – zurück in eine Epoche, in der Anpassung belohnt und Kritik bestraft wurde, in der eine moralisierende Normopathie das Allgemeine mit aller Gewalt über das Besondere stellte. Und die Grünen sind es, die diesen in die Vergangenheit eines betulichen Autoritarismus marschierenden Zug anführen. So betrachtet sind die Grünen die neuen Konservativen, die den Rückschritt in eine Zeit betreiben, in der die bedächtige Weisheit des Alters die Gesetze geschrieben hat, denen die Jungen folgen mussten, wollten sie körperliche Krankheit und sozialen Untergang vermeiden.

Dass zu einem gelungenen Leben auch spontanes Handeln ohne Reflexion, punktuelle Exzesse und dionysischer Rausch gehören, auch wenn man davon vielleicht nicht gesünder wird, davon haben die neoprotestantischen grünen Moral- und Normenapostel noch nie etwas gehört. Und anstelle des Satzes von Kant, der da lautet „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“, setzen die Grünen die Untertanenlogik „Lass die Grünen für dich denken, und mache das, was sie von dir verlangen“.

Vor einer Jugend, die eine solche totalitäre Handlungsmaxime internalisiert, muss sich die Politik der Zukunft nicht fürchten. Sie wird tun, was man von ihr verlangt.

DER AUTOR

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Mag. Bernhard Heinzlmaier (*1960) ist Sozialwissenschaftler und arbeitet seit 20 Jahren in der Jugendforschung. Er ist Geschäftsführer der Marktforschungsagentur Tfactory in Hamburg und Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung. Gerade ist sein Buch „Verleitung zur Unruhe. Zur Hölle mit den Optimisten“ im Ecowin Verlag erschienen. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2015)

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