Polizeilicher Staatsschutz? Alles, nur das nicht. . .

In der Vorlage für ein neues Staatsschutzgesetz wird die Chance vertan, Österreichs Dienstelandschaft nachhaltig zu ordnen.

Von den einen wird es als verpasste Chance, von den anderen als Speerspitze des Überwachungsstaates gesehen: Tatsächlich beinhaltet das Staatsschutzgesetz von beiden Blickwinkeln reichlich. Fakt ist, dass ohne die Terrormiliz Islamischer Staat und die mit ihr einhergehende europaweite Terrorismusphobie ein solch weitreichendes Gesetz kaum Aussicht auf Realisierung hätte.

Trotzdem, der Gesetzesvorschlag schafft Fakten und Perspektiven in der österreichischen Behörden- und Dienstelandschaft, sodass die Frage erlaubt sein muss, ob diese Behörde mit ihren kaum zu kontrollierenden Befugnissen im Innenministerium denn tatsächlich noch demokratiepolitisch richtig angesiedelt ist.

Hier wurde eine Chance vergeben, die österreichische Dienstelandschaft mit drei Organisationen – Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismus (BVT), Heeresnachrichtenamt (HNaA) und Heeresabwehramt (AbwA) – nachhaltig zu ordnen.

Die Terrorgefahr wird seit Jahren gerade von den US-Diensten geschürt und überbewertet. Sie dient als Feigenblatt für die weltweite Aufrüstung von Nachrichtendiensten und Polizeibehörden.

Zweifache Stoßrichtung

Ähnlich verhält es sich mit dem österreichischen Gesetzesvorschlag: Das Argument der Terrorismusbekämpfung wird in den Vordergrund gerückt und verdeckt die anderen Staatsschutzaufgaben, deren Umsetzung mit denselben Befugnissen unterlegt sind.

Die Stoßrichtung des Staatsschutzgesetzes ist eine zweifache: Erstens: Verlegung der Staatsschutzaktivitäten in das Vorfeld einer Straftat im Rahmen des umfangreichen Deliktekataloges. Zweitens: Ausbau der nachrichtendienstlichen Elemente unter Einbeziehung einer signifikanten Rolle des Ministeriumsinternen Kontrollmechanismus eines Rechtsschutzbeauftragten.

Den Staatsschutzbehörden ist spätestens seit dem 11. September 2001 klar, dass eine effiziente Terrorismusbekämpfung im Vorfeld einer solchen Straftat anzusetzen hat und klassische polizeiliche Arbeit schlicht zu kurz greift. Mit dem Gesetzesentwurf erhält der Staatsschutz jene erweiterten Befugnisse, die ihn verstärkt im Vorfeld einer beabsichtigten Straftat positioniert.

Mit anderen Worten: Der Staatsschutz bewegt sich auf der Schiene einer zunehmend nachrichtendienstlich ausgerichteten Sicherheitsbehörde. Beteuerungen von politischer Seite, dass das neue Staatsschutzgesetz ein polizeiliches sei und kein neuer Geheimdienst entstehe, sind zwar juristisch richtig, die Grenze ist aber fließend.

Die Spuren dieser österreichischen „Urangst“ vor einem potenten Nachrichtendienst lassen sich aus den Bestimmungen über das Führen von Vertrauenspersonen besonders deutlich ablesen. Einerseits wurde die Behörde ermächtigt, den Quellenschutz beträchtlich auszubauen; sie kann praktisch die Herausgabe dieser Informationen auch gegenüber politischen Kontrollorganen begründet verweigern. Andererseits bleibt dieses Instrument jedoch im engen Korsett der Anzeigepflicht nach der Strafprozessordnung. Hier kommt die Zwitterstellung zwischen nachrichtendienstlicher Ausrichtung und Sicherheitsbehörde deutlich zum Ausdruck.

Zweifellos zielt das Gesetz mit seinen Befugnissen in erster Linie auf die Terrorismusbekämpfung. Beinahe wird überlesen, dass dieselben Befugnisse auch mit anderen Aufgaben einhergehen. Das BVT erhält in der Erfüllung dieser Aufgaben auch einen Sonderstatus innerhalb der Kriminalpolizei. Das Staatsschutzgesetz begradigt die bisher konfliktgeladene Trennlinie zwischen Allgemeiner Verwaltung und Exekutivem Dienst innerhalb des BVT.

Kompromiss mit den Ländern

Das Staatsschutzgesetz scheint vor allem auch ein politischer Kompromiss zwischen Bund und Ländern zu sein. Der Gesetzesentwurf verankert die Landesämter neben dem Bundesamt. Das ist auf den ersten Blick nicht aufregend. Schon interessanter ist, dass die Befugnisse der Landesämter den Befugnissen und Aufgaben des BVT (mit wenigen Ausnahmen) gleichgestellt sind.

Die Landesämter unterstehen jedoch nicht direkt dem BVT, sondern den Landespolizeidirektionen, deren Leiter in staatsschutzrelevanten Fragen direkt den Landesparlamenten und Landeshauptleuten periodisch berichten. Man wird den Eindruck nicht los – Bundespolizei hin oder her –, dass sich die Landeshauptleute da einen eigenen kleinen Landesgeheimdienst leisten. Parallelitäten und Konflikte sind gerade in Wien vorprogrammiert, wo BVT und das Landesamt mit denselben Aufgaben und Befugnissen nur wenige Kilometer voneinander entfernt arbeiten.

Deutlich zeigt sich auch die Tendenz, sich im Vorfeld einer Straftat von richterlichen Genehmigungspflichten abzukoppeln und den Rechtschutzbeauftragten für die Genehmigung von Kontrollbefugnissen im Rahmen der erweiterten Gefahrenforschung zu bevorzugen. Auch dies entspricht international eher den Gepflogenheiten von Nachrichtendiensten.

Dienstende für Heeresdienste?

Insgesamt gesehen wird mit dem Gesetzesvorschlag eine Behörde etabliert, die nur halbherzig in die Landschaft der österreichischen Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste passt. So schließt der Gesetzesentwurf explizit auslandsbezogene Aufgaben durch das BVT mit ein, da die präventive Terrorismusbekämpfung die Analyse und Verarbeitung auslandsbezogener Informationslagen erforderlich macht. Das bringt das BVT weiter in Konflikt mit Aufgabenstellungen des Heeresnachrichtenamtes, das längerfristig Gefahr läuft, das Alleinstellungsmerkmal für jene auslandsbezogene Themenfelder zu verlieren, die für Österreich gefährdungsrelevant sind.

Ob gewollt oder nicht, dieses Gesetz wird eine Entwicklung einleiten, die das Ende der beiden militärischen Nachrichtendienste (HNaA und AbwA) in der jetzigen Form mit sich bringen wird, zumal bisherige Nischenlagen der militärischen Ämter durch das BMI/BVT besetzt wurden.

Verstärkter Quellenschutz und das Instrument des Rechtschutzbeauftragten dienen als Behelf, die besonderen Verfahren im Umgang mit dem nachrichtendienstlichen Informationsaustausch abzuwickeln. Dennoch wird dem besonderen Schutz für Informationen von ausländischen Nachrichtendiensten nicht ausreichend Rechnung getragen.

Mangelhafte Kontrolle

Der vorliegende Gesetzesentwurf schafft eine mächtige Behörde, für die die vorgesehenen Kontrollmechanismen bei Weitem nicht ausreichen. Dies gilt für jede Form von Kontrolle: für die Institution des Rechtschutzbeauftragten ebenso wie für justizielle Kontrolle und erst recht für parlamentarische Kontrollmechanismen.

Konsequent zu Ende gedacht, läuft das BVT Gefahr, seinen künftigen Platz außerhalb des Rahmens des Innenministeriums in einem umfassenderen Kontext zu finden. Es scheint verständlich, diesen Gesetzesentwurf als „polizeilichen Staatsschutz“ zu titulieren. Er ist vieles, aber gerade das nicht!

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Dr. Gert-René Polli
(*1960 in St. Paul/Lavanttal) arbeitete von 1991 bis 2001 als Analytiker im Heeresnachrichtenamt. Ab 2002 im Innenministerium mit der Reorganisation der Staatspolizei beauftragt, die in das neu gegründete Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) übergeleitet wurde. Von 2002 bis 2008 war Polli der erste Direktor dieser neuen Sicherheitsbehörde. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

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