Die Eurokrise und ihre trotzige Leugnung

Ohne Euro und die grundfalsche Politik der Europäischen Zentralbank wären niemals so gigantische Kredite in die heutigen Krisenländer an der südlichen Peripherie der EU geflossen – und wären dort auch nie nachgefragt worden.

Die gegenwärtige Krise im Euroraum sei nicht eine Krise des Euro, sondern einige Mitgliedsländer seien in den Strudel von Banken- und Staatsschuldenkrisen geraten. So resümiert Franz Nauschnigg von der Oesterreichischen Nationalbank in seinem Gastkommentar vom 29.April in der „Presse“. Mit anderen Worten: Der Euro hat mit der gegenwärtigen Krise im Euroraum nichts zu tun. Mag sein, dass Herr Nauschnigg damit die offizielle Meinung der OeNB vertritt – mit den Fakten wie mit den tatsächlichen Zusammenhängen hat das freilich nichts zu tun.

Das zu verstehen braucht nicht viel mehr als etwas Hausverstand: Wenn nämlich die Staatsschulden in vielen Ländern der Eurozone – vor allem aber in Griechenland – ein nicht mehr vertretbares Niveau erreicht haben, so stellt sich doch die Frage, wie es denn möglich war, einen derart gewaltigen Schuldenberg zuallererst einmal aufzutürmen.

Wettbewerbsfähigkeit verloren

Dafür waren der Euro und vor allem die Politik der Europäischen Zentralbank kausal: Mit dem Euro ist nämlich – wie Nauschnigg zu Recht festhält – das Wechselkursrisiko weggefallen. Das hat den Weg für die Kredite in die heutigen Krisenstaaten freigemacht. Nachgerade beflügelt aber wurde dieser Kreditfluss nicht nur von viel zu geringen Zinsen der EZB, sondern von ihrer Politik, die Staatsschuldpapiere aller Euroländer als gleich gute Sicherheiten für (mögliche) Kredite der Geschäftsbanken bei der Zentralbank zu behandeln.

Das war die entscheidende und grundfalsche Politik der EZB, die den Kreditgebern – allen voran den Banken – eine Sicherheit vorgaukelte, die es de facto nie gab. Nur deshalb sind die Zinsen für die Peripherieländer so tief (nahezu auf das Niveau Deutschlands!) gefallen, sodass diese – aus den Zeiten vor dem Euro an viel höhere Zinsen gewohnt – sich einem Verschuldungstaumel hingaben.

Ohne Euro und ohne die grundfalsche Politik der EZB wären also niemals so gigantische Kredite in die heutigen Krisenländer geflossen und dort auch nie nachgefragt worden. Ohne Euro gäbe es also die Staatsschuldenkrise in den Peripherieländern ebenso wenig wie die Bankenkrise. Viele Banken, gerade der Eurozone, sind daher voll mit faulen Krediten – und das, obwohl die nationalen Notenbanken zumeist auch die Bankenaufsicht zu verantworten haben. Das verschweigt Herr Nauschnigg.

Ebenso, dass aufgrund dieses eurogetriebenen Kreditbooms in den Peripherieländern sich nicht nur gigantische Vermögenspreisblasen (Irland und Spanien) bildeten, sondern im schuldengetriebenen Boom auch Löhne und Preise in diesen Ländern viel stärker als etwa in Deutschland stiegen, sodass sie ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren. Darauf mit Abwertung zu reagieren bleibt ihnen im Euro verschlossen.

Verabsäumte Strukturreformen

Der Euro ist also nicht nur für die Verschuldungsexzesse (private wie öffentliche), damit für die Bankprobleme, sondern auch für den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit in den Krisenländern die Ursache.

Apropos Wettbewerbsfähigkeit: Weitgehend vergessen bleibt, dass der Euro aus ökonomischen Überlegungen eingeführt wurde, um die damals so bezeichnete Eurosklerose zu überwinden. Als in den 1970er- und 1980er-Jahren das Wachstum in Europa trotz oder wegen massiver keynesianischer Konjunkturbefeuerung (Deficit Spending) zurückfiel, sollte die Gemeinschaftswährung nicht nur den Wettbewerb infolge erhöhter Transparenz und geringerer Transaktionskosten intensivieren.

Durch Elimination von Währungsschwankungen wie auch von Währungsmanipulationen (gezielten Abwertungen zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit) sowie durch die Einschränkung nationaler Fiskalpolitiken (Drei-Prozent-Defizitgrenze) sollten mithilfe des Euro auch makroökonomische Störungen reduziert werden. Da überdies im Euro die Geldpolitik für nationale Überlegungen überhaupt nicht mehr infrage kommt, die nationale Fiskalpolitik zugleich aber deutlich eingeschränkt sein sollte, stünde national nur mehr die Strukturpolitik zur Verfügung, um das Wachstum auf Vordermann zu bringen.

Strukturpolitik bedeutet – mitunter auch schmerzhafte – Reformen der Arbeits-, Produkt- und Dienstleistungsmärkte wie auch des Abgaben- und Sozialsystems und der öffentlichen Verwaltung. Wie viel hier – in den meisten Ländern – nicht geschehen ist, braucht nicht wiederholt zu werden.

Viel zu expansive Geldpolitik

Der Euro war also primär als angebotsseitige Wiederbelebungsaktion geplant, wurde als solche aber nicht umgesetzt. Die Geldpolitik war viel zu expansiv, die Fiskalpolitik änderte sich kaum (Deutschland und Frankreich verletzten den Stabilitätspakt von 2003 bis 2005, ohne irgendwelche Sanktionen befürchten zu müssen). Die Strukturpolitik brauchte daher erst gar nicht richtig betrieben zu werden. Hätte die EZB eine andere Politik verfolgt, hätte sie in der Tat dem Ziel einer langfristigen inneren und äußeren Währungsstabilität – die letztlich nur eine Folge einer entsprechenden realwirtschaftlichen Performance sein kann – konsequent Priorität eingeräumt, so wäre sie deutlich restriktiver vorgegangen (höhere Zinsen und deutlich geringeres Geldmengenwachstum) und hätte die Bonität unterschiedlicher Staatsschuldner entsprechend berücksichtigt.

Sie hätte – anstatt dies bloß pro forma verbal zu beklagen – auch die Möglichkeit gehabt, die oftmalige Negierung der Fiskalkriterien vieler Mitgliedstaaten konkret zu ahnden. Zum Beispiel, indem sie entsprechende Abschläge bei jenen als Sicherheiten infrage kommenden Staatspapieren vorgenommen hätte, deren Regierungen sich nicht an die Fiskalkriterien halten.

Festhalten am Projekt Euro

Ohne Zweifel: Wäre die Finanzkrise auf ein Europa ohne Euro getroffen, so hätten wohl ziemliche Währungsturbulenzen, die Herr Nauschnigg so beklagt, stattgefunden. Hätte dann der Hartwährungsblock vielleicht gar deutlich auf-, hätten die Weichwährungsländer deutlich abgewertet? Wären dann die gigantischen Wettbewerbs- und damit Wachstumsprobleme der Peripheriestaaten nicht vom Tisch?

Dass der Euro Vorteile bietet, gerade für eine kleine offene Volkswirtschaft wie Österreich, steht außer Frage. Ob er unter dem Strich, also unter Berücksichtigung der Nachteile, der fehlenden Bedingungen für eine funktionierende Währungsunion wie vor allem aufgrund fundamentaler Fehler der EZB zu vertreten ist, ist fraglich.

Weitgehend unbestritten hingegen ist, dass man am Projekt Euro nicht aus konsequentem ökonomischen Kalkül, sondern aus Furcht vor den ökonomischen wie politischen Konsequenzen des Zerfalls des Euro weiterhin festhält. Zu vielen Zentralbankern scheint sich das noch nicht durchgesprochen zu haben. Trotz ernüchternder bis katastrophaler Performance hinsichtlich Wachstum und Beschäftigung wie vielerorts paralysierender Unsicherheit über die unmittelbare Zukunft des Euro: Eine Eurokrise gibt es für sie nicht!

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Ferry Stocker (*1961 in Lienz) studierte Handelswissenschaften und Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er ist Fachbereichsleiter für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Wiener Neustadt. Sein jüngstes Buch: „Zahltag. Finanz- und Wirtschaftskrise und ökonomische Prinzipien“. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2015)

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