Zentralmatura nach Noten: Wie schreibt man Sehr gut

Genügend. Ob Zeitungen die Deutschmatura bestehen würden, soll hier nicht geprüft werden. Die Orthografie in der „Presse“ ist aber großzügig.

Die Zeitung berichtet ausführlich über Bildungsfragen, macht Bildungsbeilagen und erhebt die Zentralmatura zu einem erstrangigen Thema. „Jede Schule wird einzeln überprüft“, verkündet sie auf einer Matura-Themenseite (28.5.). Das Merkwürdige daran: In der oberen Seitenhälfte schreibt sie „Sehr Gut“ und „Nicht Genügend“, in der unteren Hälfte aber „Sehr gut“ und „Nicht genügend“.

Nun ist die Realität leider nicht immer so, dass Schüler nach Unterrichtsende nach Hause kommen und sich voll Eifer der „Presse“-Lektüre zuwenden. Geschähe dies dennoch, dann wären die jüngsten Leserinnen und Leser ziemlich verunsichert, weil die Zeitung locker mit Begriffen umgeht, die für junge Menschen auf ihrem Bildungsweg schicksalhaft sein können.

Ich bin ebenfalls verunsichert und rufe die Matura-Auskunftsstelle des Bundesministeriums für Bildung und Frauen an, um zu fragen, was stimmt. Die Referentin ist freundlich und hilfsbereit, bleibt aber in Deckung und rät: „Halten Sie sich am besten an die LBVO.“

Auf Nachfrage erklärt sie mir, LBVO sei die „Leistungsbeurteilungsverordnung“, die ich im Rechtssystem RIS nachlesen sollte. Tief beeindruckt kürze ich den Weg ab und schlage im „Österreichischen Wörterbuch“ nach. In diesem heißt es eindeutig und mit Bezug auf die Amtssprache, dass die Schulnoten als „Sehr gut“ und „Nicht genügend“ zu schreiben seien.

Aber kann nicht auch ein Wörterbuch irren? Ich grabe mich doch in die Leistungsbeurteilungsverordnung ein und stoße im Kapitel Notenbeeinspruchungen auf den Fünfer, also „Nicht genügend“. So steht es dort, das „Österreichische Wörterbuch“ hat recht gehabt. Auch die „Presse“-Redaktion könnte jetzt auf die im Schuldienst gebräuchliche Schreibweise einschwenken. Sie hätte für diese Leistung ein „Sehr gut“ bzw. einen Einser verdient, der stimmt auch. Der APA könnte sie die Neuigkeit ebenfalls weitersagen, denn auch die schreibt zumeist, wenn auch nicht immer, „Nicht Genügend“.

Damit ist freilich nicht gesagt, dass amtssprachliche Rechtschreibung absolut richtig sein müsste, der amtssprachliche Stil ist sowieso ein Horror. Die Kollegen vom „Presse“-Rechtsressort versuchten mir einmal beizubringen, dass das laut Duden korrekte Fugen-s im Wort „Schmerzensgeld“ nicht amtssprachlich und somit zu vermeiden sei, weil sich andernfalls Richter und Rechtsanwälte beschweren würden. Ich halte ein „Schmerzengeld“ ohne s noch immer für invalid, kann aber juristische Formeln, die in Gesetze geraten und mit parlamentarischer Mehrheit zu amtssprachlichen Ehren erhoben worden sind, nicht verbessern.

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Anna Fenninger wird als „beste weibliche Schifahrerin“ bezeichnet (13.5.). Sie ist die beste Skifahrerin, weiblich ist eine Skifahrerin sowieso.

Unnötige Steigerungsversuche führen in die Irre. Die Fußballer von Paris St. Germain seien „die weltweit bestverdienendsten Mannschaftssportler“ (22.5.). Bestverdienend ist nicht steigerungsfähig.

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Oper und Operette leben von Verwechslungen, Zeitungen manchmal auch. Der Feuilletonist hört den Zarewitsch irrtümlich im „Land des Lächelns“ singen (3.5.). Lehars „Zarewitsch“ wäre der bessere Tipp gewesen.

In der vorigen „Spiegelschrift“ ging es unter anderem um überfrachtete und deshalb schwer verständliche Info-Grafiken. Hier ein positives Gegenbeispiel: Die Zeichnung über Österreichs sinkende Wettbewerbsfähigkeit hat wuchtige Zacken, ist aber auf den ersten Blick aussagekräftig – „Das Schiff sinkt langsam, aber es sinkt“ (28.5.). Irreführend ist hingegen eine Straßenskizze zu Wiens 9. Bezirk (23.5. Immobilien). Die Berggasse ist verschoben, und die Porzellangasse scheint am Donaukanal zu enden.

Das Hypo-Debakel könnte für die Steuerzahler „neuen Unbill bringen“ (12.5.). Gewiss, aber nur als Femininum: die Unbill.

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Hier ein Beispiel für unbedachte Titelgebung: „Marine Le Pen löst Tumult in Prager Parlament aus“ (7.5.). Die Anführerin der französischen Rechtsextremen durfte im tschechischen Parlament reden, aber den Tumult lösten 20 Demonstranten aus, die die Rednerin als Faschistin beschimpften.

Bei zahllosen Gedenktagen zur Wiedergeburt eines freien und unabhängigen Österreich brilliert „Die Presse“ durch ihren historischen Fundus in Form der regelmäßigen „Zeitgeschichte“-Seite und vieler anderer Beiträge. Umso verwunderlicher ist, dass sie die Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges, verbunden mit einem vom breiten Publikum bestens aufgenommenen „Fest der Freude“, auf dem Heldenplatz mit einem wenig informativen Foto abtut (9.5.).

Der Sieger beim Song Contest steht erst nach Mitternacht fest, dennoch bringt ihn „Die Presse am Sonntag“ zu Pfingsten mit Foto ins Blatt. Das verdient Anerkennung – voraussehbare Entscheidungen zur Nachtzeit sind für eine Zeitung immer eine Nervenprobe. Insgesamt hat „Die Presse“ den Song Contest mit Bravour bewältigt, soweit man unter Bravour versteht, wenig anzuecken und den Zeitgeist nicht zu verachten, der Teile der jungen Generation in Begeisterung versetzt. „Sind wir wirklich alle Song Contest?“ (19.5.), fragt sie.

In einem gescheiten Kommentar deponiert sie hernach viel Verständnis für das Medienspektakel, aber auch eine Restskepsis gegen den in Österreichs patriotisches Getue gemischten gesellschaftspolitischen Hintersinn: „Die Wiener Ampelpärchen-Politik“ (24.5.).

Ein Journalist im Kulturressort hat es da leichter, weil er bloß die Gesangskunst einer Prüfung unterziehen muss. Er nimmt das Album „Conchita“ her, hört zwei „wirklich gut gelungene Songs“ heraus und resümiert: „Erwartungsgemäß sind die meisten Lieder bieder klingende Konfektionsware, die darum fleht, als Haute Couture durchzugehen.“ (16.5.)

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Überhaupt ist es eine Freude, im Feuilleton auf anschauliche und humorvolle Formulierungen zu stoßen, die die Leser erfreuen werden. Über die Teilnehmer der Talkshows des verstorbenen amerikanischen Talkmasters David Lettermann schreibt der USA-Korrespondent: „Lettermanns Gäste: je prominenter, desto langweiliger, weil sorgsam dressiert.“ Über eine Opernaufführung von Richard Wagners „Siegfried“ mit dem Titel „Siegfried döst nicht nur unter der Linde“ heißt es, dass „die schicksalsschwangere Erhabenheit der Musik im rhythmischen Wackeln verpuffte“.

Der Zuruf „Kein Mensch braucht den ,Doktor blockflötikus‘“ müsste eigentlich auch in der Musikuniversität verstanden werden. In eine Theaterkritik über Gogols „Tote Seelen“ schleicht sich das Wort „rabaukig“ ein. Darf man Wörter , die noch nicht im Sprachlexikon vorkommen, für den Eigengebrauch erfinden? Ich mäkle nicht sauertöpfisch herum, sondern schließe mich jedem Wort der Überschrift an: „Rabaukig und derb. Ob das noch Gogol ist? Egal.“

DER AUTOR

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist, Mitbegründer und Sprecher der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

Spiegelschrift@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2015)

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