Zwei Lektionen für die ÖVP

Die Volkspartei darf das Megathema Zuwanderung und Integration nicht der FPÖ überlassen. Und sie muss sich öffnen.

Konservative können doch noch Wahlen gewinnen. Zumindest in England. Dem Wahlsieg der Tories unter David Cameron im Mai ist ein gut inszenierter und inhaltlich mutiger Wahlkampf vorausgegangen. Zwei Themen bescherten den britischen Konservativen den größten politischen Triumph seit Margaret Thatcher: Zuwanderung und Europa.

Beide Themen haben auch die Wahlen im Burgenland und der Steiermark entschieden. Profiteur des Politbebens aber ist nicht die ÖVP, sondern die FPÖ. Die Freiheitlichen haben die dominierenden Themen Integration und Zuwanderung früher erkannt und konnten ihre Wähler damit besser mobilisieren als ÖVP und SPÖ.

Damit haben sich die Freiheitlichen als dritte Kraft etabliert, ÖVP und SPÖ hat das katastrophale Ergebnis zumindest in Graz zusammengeschweißt. Aus Reform- werden Angstpartner. Vor den nächsten Wahlen in Oberösterreich und Wien liegen die Nerven blank: Wie kann der Exit aus dem 20-Prozent-Turm gelingen?

Die Volkspartei muss zwei Lektionen aus dem Wahldebakel vom 31. Mai lernen. Die eine ist inhaltlicher, die andere strategischer Natur. Die ÖVP hat lange Zeit grundlegende Strömungen und Veränderungen ignoriert. Sie ist ideenpolitisch nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Aber wer die Probleme und Herausforderungen nicht erkennt, kann sie auch nicht lösen.

Alternative: Ein Tod auf Raten

Während europaweit konservative Regierungsparteien die Asyl- und Flüchtlingsfrage als zentrales Thema diskutieren, das die Menschen beunruhigt, überlässt die ÖVP das Megathema Zuwanderung und Integration der FPÖ. Solange die ÖVP hier sprachlos bleibt, bleibt es beim Diktum: „Wer in Österreich unzufrieden ist und protestieren will, wählt rechts.“

Die ÖVP wird sich nicht nur inhaltlich, sondern auch strategisch öffnen müssen. Die Große Koalition mit der SPÖ ist für die ÖVP ein Nullsummenspiel. Wo diese verliert, verliert auch sie. Ähnlich wie vor 15 Jahren unter Wolfgang Schüssel muss die Partei das Oppositionsmonopol der FPÖ knacken und die Freiheitlichen in Regierungen einbinden und entzaubern – oder selbst in die Opposition gehen. Die Alternative wäre der Status quo: der Tod auf Raten. Was der ÖVP vor allem fehlt, ist eine Erzählung der Zuversicht, die auch Zukunftspessimisten anspricht. In seiner Rede zum 70. Gründungstag der Partei hat Parteichef Reinhold Mitterlehner auf einen wichtigen Gedanken hingewiesen: „Der entscheidende Punkt ist, nicht das Populistische zu tun, sondern das Richtige zu tun, aber es dann populär zu machen.“ Nur, was ist „das Richtige“? Immer der Wirtschaft und ihren Lobbyverbänden hinterherzulaufen?

So wie Wirtschaft mehr ist als reine Profitmaximierung, so ist Politik mehr als Leistung und Dienstleistung. Als bloße Wirtschaftspartei hat die Volkspartei keine Zukunft. Wirtschaft und Politik sind für den Menschen da und nicht umgekehrt. Das neue Grundsatzprogramm der Partei liest sich jedoch wie von einer Unternehmensberatung geschrieben.

„Mehr Mut!“ möchte man der ÖVP wünschen. Nicht die Augen vor den Veränderungen und Herausforderungen verschließen, sondern sie mit Offenheit, Neugierde und Menschenliebe angehen.

Dr. Daniel Dettling ist selbstständiger Politik- und Kommunikationsberater (www.zukunftsinstitut.at).

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2015)

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