Dringend gesucht: Solide Einwanderungspolitik

Es gilt, endlich einen gesetzlichen Rahmen dafür zu schaffen, wie Österreich mit Menschen umgehen will, die – aus unterschiedlichsten Gründen – hier leben wollen oder müssen. Und dafür zuständig ist der Bund.

Der Zuwachs an Stimmen und Macht für die FPÖ und der Verlust an politischem Ansehen und Autorität der Bundesregierung und ihrer verschiedensten Organe und gesamtösterreichischen Partnereinrichtungen sind zwei Seiten derselben Medaille. Es geht um eine seit gut zwei Jahrzehnten schleichende Erosion des Kerns und der Grundlagen der Zweiten Republik.

Nach vielen Wochen von Gipfeln, Landeshauptmann-Interviews, Gemeindeprotesten und Zeltlagern mitsamt Kompetenzgerangel um Bewilligungen lässt sich ein simpler roter Faden spinnen: Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und mit ihr die Bundesregierung kapitulieren vor einer gestaffelten Verteidigungsmacht aus Landesherren und Bürgermeistern. So sieht Ohnmacht aus – anstelle von Gestaltungsmacht.

Nur ja keine „falschen Anreize“

Österreich hat heute tatsächlich eine erhebliche Anzahl von Asylwerbern zu „bewältigen“. Fakt ist aber auch: Eine erhebliche Zahl dieser Menschen wird in Österreich auf Dauer bleiben wollen.

Nicht, weil sie sich dies aussuchen, sondern weil sie keine Alternativen haben, und Migrationsbewegungen nun einmal so funktionieren. Österreich mit all seinem Reichtum und seiner Vielfalt ist ein geradezu beispielhafter Anziehungspunkt für solche Wanderbewegungen, wie es sie bereits seit Jahrhunderten gibt.

Bei der letzten vergleichbaren Flüchtlingskrise, nach der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen zu Beginn der 1980er-Jahre, und mit sehr ähnlichen Flüchtlingszahlen wie heute, gab es ähnliche Szenarien: Überfüllung des zentralen Lagers in Traiskirchen, deshalb Unterbringung von tausenden Flüchtlingen in Pensionen und Quartieren quer durch Ostösterreich – übrigens eine willkommene Einnahmequelle in strukturschwachen Regionen.

Bald schon gab es auch damals lokale Kontroversen, wenn allzu viele junge „ausländische“ Männer in Dörfern mit hoher Abwanderung und Arbeitslosigkeit keiner Arbeit nachgehen durften, sondern stattdessen auf irgendwelche Bescheide warten sollten. Und statt Deutschkurse für die Neuankömmlinge zu organisieren, geisterte schon damals die Unterstellung durch die Politik, derlei würde nur „falsche Anreize“ schaffen.

1993 initiierte der damals politisch gerade aufstrebende FPÖ-Politiker Jörg Haider sein (Anti-) „Ausländer Volksbegehren“ und gab damit seiner Karriere einen neuen Schub. Sieben Jahre später setzte Haider Wolfgang Schüssel auf den Beifahrersitz seines Porsche – als Sinnbild für die Regierungsbeteiligung der FPÖ auf Bundesebene. Heute verfährt die FPÖ unter Parteiobmann Hans Christian Strache im Burgenland mit Landeshauptmann Hans Niessl sehr ähnlich.

Das „Geheimrezept“

Haider hatte nie ein Amt in der österreichischen Bundesregierung inne. Vizekanzlerin war Susanne Riess-Passer. Und selbst oberstgerichtliche Entscheide – etwa zur Anbringung zweisprachiger Ortstafeln in Kärnten – ignorierte er erfolgreich als Kärntner Landeshauptmann, also als zuständige lokale Behörde.

Vor rund drei Wochen, am 21.Mai 2015, gab es ein bemerkenswertes Interview in der „ZIB2“ mit dem Präsidenten des österreichischen Gemeindebundes, Helmut Mödlhammer (ÖVP), zum Thema Asylheime in Gemeinden, in dem dieser unumwunden sagte: Für eine Gemeinde von 1000 Einwohnern sei die Unterbringung von zwei, drei Asylantenfamilien, oder 20 Personen, gewiss „kein Problem“. Angesichts von „hunderten angebotenen Privatquartieren“ sei die Unterbringung von Flüchtlingen in „kleineren Kontingenten“ sogar das „Geheimrezept“.

Was immer der oberste Vertreter der österreichischen Gemeinden und deren Bürgermeistern hier öffentlich aussagte – es steht im krassen Widerspruch zur Politik, die tatsächlich von der Mehrzahl der Bürgermeister in den Gemeinden gemacht wird.

Klarheit für alle schaffen

Die Grundkonstruktion der Zweiten Republik mit ihren föderal abgestuften Verantwortlichkeiten zwischen Bund, Ländern und (starken) Gemeinden wird schlicht dysfunktional, weil in den aktuellen, neuen Herausforderungen der bundesgesetzliche Rahmen fehlt.

Das politische Problem liegt allerdings nicht bei den Bürgermeistern – sondern beim Bund. Österreich braucht dringend – und eigentlich schon seit Jahrzehnten – eine Einwanderungspolitik.

Es gilt, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, wie dieses Land insgesamt umgeht mit Menschen, die – aus unterschiedlichsten Gründen – hier leben wollen oder leben müssen. Diese Menschen, wollen Klarheit darüber, wann und wie sie sich in Österreich ansiedeln können. „Politisches Asyl“ und „Flucht vor Krieg und Tod“ ist eine, darf aber nicht die einzige Regel darstellen. Die Menschen wollen wissen, was sie erwartet. Umgekehrt wollen die Österreicherinnen und Österreicher genauso Klarheit darüber, wie dieses Land mit neuen Mitbürgern verfährt.

Eine solide Einwanderungspolitik definiert auch eine Grenze, wer in welcher Zahl unter welchen Rahmenbedingungen und Regeln aufgenommen wird – und wer nicht. Aber eben nicht nur als ungewollte Notmaßnahme, sondern auch als positive, legitime Option, die definiert, wo und wie genau diese Grenze verläuft. Nicht nur als Asyl. Überdies wäre dies ein Signal, das zeigt, dass die Ängste vieler Menschen politisch ernst genommen werden.

Ein Regelwerk als Signal

Nach acht Monaten Zivildienst in Traiskirchen in den Jahren 1983/84, von denen ich drei Monate auch im Lager gewohnt habe, und gut 30.000 abgespulten Kilometern an Versorgungsfahrten mit einem Kleinbus zwischen den vielen, über ganz Ostösterreich verstreuten Flüchtlingsquartieren habe ich gemeinsam mit meinem Zivildienstkollegen Wolfgang Weisgram eine erkleckliche Reihe von Artikeln in verschiedensten Medien veröffentlicht (darunter auch in der „Presse“), die schon vor 30Jahren alle auf einen Satz hinausliefen: Österreich braucht eine Einwanderungspolitik.

Eine solide Einwanderungspolitik schafft nicht nur ein Regelwerk, um Menschen auf eine geordnete Art und Weise ins Land zu lassen und sie hier auch einzubürgern. Sie ist auch ein Signal an die gesamte bestehende Bevölkerung, dass diese neuen Bürgerinnen und Bürger eine Chance auf ein produktives Leben haben, sich integrieren wie auch aktiv bei der Mitgestaltung dieses Landes mitmachen können.

Eine solche Einwanderungspolitik für Österreich aber kann nur die Bundesregierung formulieren – in Abstimmung, oder noch besser, als dringend nötiger Anstoß innerhalb der Europäischen Kommission.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Rüdiger Wischenbart
war 1983/84 Zivildiener im Flüchtlingslager Traiskirchen. Danach hat er Flüchtlingslager im Nahen Osten und in Pakistan besucht und dazu ausführlich publiziert. Autor von „Die Sehnsucht nach der großen Stadt. Fremdlingsgeschichten aus Wien“ (1996). Heute arbeitet er als Berater mit Schwerpunkt internationale Kultur- und Verlagsmärkte. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2015)

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