Srebrenica: „Sind nicht erstarrt im Angesicht des Bösen“

Bosnien und Herzegowina gedenkt der Opfer des Völkermords von 1995.

Verbrechen der Vergangenheit können wir nicht mehr ungeschehen machen. Aber es gibt viel, was wir tun können, um sicherzustellen, dass sich diese nicht wiederholen. In den 20 Jahren seit dem Völkermord in Srebrenica haben die Familien der Opfer sowie Bosnien und Herzegowina als Ganzes einen langen und schmerzhaften Weg hin zu Gerechtigkeit und Versöhnung durchlebt.

Jedes unschuldige Leben, das im Krieg in Bosnien und Herzegowina ausgelöscht wurde, ist unwiederbringlich. Jedes Opfer war einmalig und unersetzlich. Die Trauer derer, die einen geliebten Menschen verloren haben, wird niemals gelindert werden.

Was wir aber tun können, ist zu versuchen, all das zu fördern und zu bewahren, was im Leben der Opfer und in der durch den Krieg zerstörten Gesellschaft positiv und wertvoll war. Wenn wir dabei erfolgreich sind, verhindern wir, dass die Mörder und all jene, die das Land und seine Bürger entzweien wollten, triumphieren werden.

20 Jahre nach dem Krieg ist die Arbeit in Bosnien und Herzegowina noch nicht getan. Der Wiederaufbau von verlorenem Vertrauen ist oft langsam. Aber nicht, weil sich die Bürger keine Versöhnung wünschen, sondern vielmehr, weil Versöhnung von einigen führenden Politikern verhindert wird.

Mutige Frauen in Schwarz

Wo die Politik aber versagt hat, haben uns andere den Weg gezeigt: Vor einigen Jahren haben die Frauen in Schwarz, eine Organisation von Bürgerinnen Serbiens, Bosnien besucht, um die „Mütter von Srebrenica“ zu treffen. Die Frauen haben damit große Zivilcourage bewiesen.

Es war ein Treffen von Frauen, das dazu bestimmt war, das Böse zu überwinden und sicherzustellen, dass diese Tragödie der Vergangenheit nicht die geringste Chance hat, sich in Zukunft zu wiederholen. Wir müssen uns die Entschlossenheit dieser Frauen zu eigen machen und sie wiederbeleben, um die Verbreitung von Ideologien zu unterbinden, die den Hass schüren und Konflikte heraufbeschwören. Mit einer solchen Entschlossenheit können unschuldige Leben gerettet werden.

Gleichheit und Gerechtigkeit

Heute werden sich in Srebrenica zehntausende Bürgerinnen und Bürger Bosniens versammeln, um jene zu betrauern, die vor 20 Jahren an diesem Ort ermordet wurden. Bosnien und Herzegowina hat 20 Jahre nach den Verbrechen in Srebrenica bereits einen langen Weg zurückgelegt. Der Weg zu Versöhnung und zu dauerhaftem Frieden ist jedoch noch nicht zu Ende.

Aus diesem Grund müssen wir die Arbeit fortsetzen. Denn die anständigen Bürgerinnen und Bürger wünschen sich eine Gesellschaft, die auf den Pfeilern der Gerechtigkeit und der Gleichheit aller Menschen aufgebaut ist. Und ich habe nicht den Hauch eines Zweifels, dass solche Bürgerinnen und Bürger die überwältigende Mehrheit in Bosnien und Herzegowina bilden.

Wir sind nicht erstarrt im Angesicht des Bösen. Wir sind nicht machtlos. Wir sind weiterhin entschlossen, den Aufbau einer Gesellschaft voranzutreiben, die auf Werten basiert, die vor 20 Jahren zerstört wurden; eine Gesellschaft, in der Gerechtigkeit herrscht.

Bosnien und Herzegowina in die europäische Familie einzugliedern, wohin das Land zweifelsfrei gehört, muss auf den Grundpfeilern der Gerechtigkeit und Gleichheit geschehen. Es ist dies auch eine bedeutsame Wertschätzung gegenüber den Toten. Wir müssen diese Arbeit erfolgreich beenden, damit die Menschen nicht umsonst ihr Leben gelassen haben, und damit künftige Generationen in Frieden und Würde in einem wahrhaft geeinten Bosnien und Herzegowina leben können.

Dr. Valentin Inzko ist seit März 2009
Hoher Repräsentant der Internationalen
Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2015)

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