Vom Atlantik zum Pazifik: Zukunftsmarkt Eurasien

Die Eurasische Wirtschaftsunion macht Fortschritte und bietet gute Chancen für Zusammenarbeit – gerade auch mit der EU.

Im Zuge der Vertiefung des Integrationsprozesses in Eurasien und der Ausweitung seines Teilnehmerkreises erscheinen in europäischen Medien immer mehr Veröffentlichungen zu diesem Thema. Grundsätzlich sind diese vom wohlmeinenden Interesse der Geschäftswelt durchdrungen, die die sich eröffnenden neuen Chancen nutzen will.

In einigen Berichten werden aber auch Sorgen hinsichtlich einer Wiederherstellung einer „neuen Version der Sowjetunion“ artikuliert, oder es ist von einer Gefahr für die europäische Integration die Rede. In manchen Publikationen werden die eurasische und die europäische Integration sogar in einen direkten Gegensatz gestellt.

Jahrhundertealte Bande

In diesem Zusammenhang wollen wir hier versuchen, die Skepsis gewisser Beobachter auszuräumen – und zwar in dem Sinn, dass sich ein Urteil widerlegen lässt, ein Vorurteil aber nie, wie die österreichische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach einmal angemerkt hat.

Aufgrund von objektiven geografischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen ist die Bildung regionaler Vereinigungen von Staaten logisch und gesetzmäßig. Auch die Integrationsprozesse zwischen Armenien, Weißrussland, Kasachstan, Kirgisistan und Russland, die untereinander durch jahrhundertealte historische, kulturelle, wirtschaftliche und andere Bande verbunden sind, entwickeln sich auf einer natürlichen Grundlage.

Als Ergänzung zu den bereits bestehenden Formaten und Strukturen der Zusammenarbeit unserer Länder in den verschiedenen Bereichen wurde im Mai 2014 die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) gegründet, deren Basis die Überzeugung der Mitgliedsländer bildet, dass wirtschaftlicher Fortschritt durch gemeinsame Handlungen bei der Lösung von gemeinsamen Aufgaben erzielt werden kann. Angestrebt werden eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, eine umfassende Modernisierung und eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit im Rahmen der globalen Wirtschaft.

Vermeidung von Fehlern

Bei der Ausweitung der Kooperation innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion berücksichtigen wir die Erfahrung anderer Vereinigungen, darunter natürlich auch der Europäischen Union. Das gestattet die Wahrung der Weiterentwicklung unserer Wirtschaftsunion unter Vermeidung von Fehlern, die bei der Errichtung von anderen internationalen und regionalen Integrationsstrukturen zum Vorschein gekommen sind.

Die führenden Leitungsorgane der EAWU sind der Oberste Eurasische Wirtschaftsrat, der Eurasische Regierungsrat und die Eurasische Wirtschaftskommission, das einzige ständig tätige Regulierungsorgan der Wirtschaftsunion. Die Beschlüsse der Kommission müssen auf dem Gebiet der Teilnehmerstaaten verpflichtend umgesetzt werden.

Es gibt keinen Dominator

In Entsprechung mit dem Vertrag über die Eurasische Wirtschaftsunion vom 29. Mai 2014 besteht die Hauptaufgabe der Eurasischen Wirtschaftskommission in der Sicherung der Bedingungen für das Funktionieren und die Entwicklung der Union sowie in der Ausarbeitung von Vorschlägen für die wirtschaftliche Integration im Rahmen der Union.

Es ist wichtig, dass die Zusammenarbeit in der Union auf den Prinzipien der gegenseitigen Achtung und der gegenseitigen Berücksichtigung der Interessen sämtlicher Mitgliedsländer beruht. Ein Konsensmechanismus bei der Annahme von Beschlüssen in der Eurasischen Wirtschaftskommission schließt die Dominanz eines einzelnen Staates aus.

Die Vereinigungsbemühungen und die Integrationsprozesse im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion sind transparent, und die EAWU steht dem Beitritt weiterer Länder offen. Wir sind an der Entwicklung von multivektoralen Beziehungen interessiert. Mehr als 40 Staaten haben bereits ihr Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Eurasischen Wirtschaftsunion in verschiedenen Formaten bekundet.

So wurde der Beschluss für die Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss eines Handels- und Wirtschaftskooperationsabkommens mit der Volksrepublik China angenommen. Im Mai 2015 wurde ein Abkommen über die Schaffung einer Freihandelszone mit Vietnam geschlossen. Die Normen der Eurasischen Wirtschaftsunion widersprechen auch nicht den existierenden Verpflichtungen in der Welthandelsorganisation: Die Union wurde auf den Prinzipien der WTO errichtet.

Abbau von Barrieren

Die eurasische Integration ist ausgerichtet auf die Wohlstandsvermehrung der Bürger, die Vereinfachung der verschiedenen Kontakte unter diesen und die Schaffung von unkomplizierten Bedingungen für die Geschäftswelt, darunter auch für ausländische Wirtschaftstreibende.

Unsere Länder garantieren die freie Bewegung von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitsressourcen und beseitigen administrative Barrieren. Die Mitgliedstaaten der Eurasischen Wirtschaftsunion treten ein für eine fortschreitende Entwicklung der gegenseitig vorteilhaften und gleichberechtigten Zusammenarbeit zwischen der EAWU und der EU.

Als Hauptziele einer solchen Zusammenarbeit werden gesehen: die Anpassung und Harmonisierung der wirtschaftlichen Integrationsprozesse; die Förderung der gegenseitigen Handelsentwicklung; die Erleichterung der Bedingungen für die Außenwirtschaft sowie die Sicherstellung des freien Personenverkehrs der Staatsbürger, der für die Ausweitung der humanitären Kontakte notwendig ist.

Wir sind interessiert an der Entwicklung einer umfassenden Zusammenarbeit auf dem gesamten eurasischen Kontinent. Unser strategisches Ziel sind die Harmonisierung und die gegenseitige Annäherung der Integrationsprozesse vom Atlantik bis zum Pazifischen Ozean.

Österreich als Partner

Österreich ist ein wichtiger Partner für die Länder der Eurasischen Wirtschaftsunion. Unsere Wirtschaften ergänzen einander und brauchen einander. Wir hoffen, dass ein richtiges Verständnis des Wesens der Ereignisse im eurasischen Raum zur Förderung der gegenseitig vorteilhaften Zusammenarbeit mit der Republik Österreich beitragen wird. Unsere Länder sind dazu bereit.

DIE AUTOREN:
Arman Kirakossjan (*1956 in Jerewan) ist seit November 2014 Botschafter Armeniens in Österreich und bei den in Wien ansässigen internationalen Organisationen.

Ermek Ibraimow ist seit Mai 2014 Botschafter Kirgisistans in Österreich und bei den in Wien ansässigen internationalen Organisation. Er ist auch als Botschafter seines Landes in Ungarn, der Slowakei, Tschechien und Polen akkreditiert.

Walerij Woronezkij (*1963 in Minsk) ist seit November 2011 Botschafter von Weißrussland in Österreich. Er ist auch als Botschafter seines Landes in Kroatien akkreditiert. Zuvor war er stellvertretender Außenminister.

Sergej Netschajew (*1953 in Moskau) ist seit April 2010 Botschafter der Russischen Föderation in Österreich.

Kairat Sarybay (*1966 in Almaty) ist seit März 2014 Botschafter Kasachstans in Österreich und bei den in Wien ansässigen internationalen Organisationen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2015)

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