Hinter dem Geldschleier

Was Griechenland fehlt, um einen Weg aus der Krise zu finden, ist eine breiter aufgestellte Wirtschaft. Da muss die EU helfen.

Ständig wird behauptet, dass sich die Griechen mit falschen Zahlen in den Euro hineingeschwindelt hätten. Für die Experten von Europäischer Zentralbank, Währungsfonds und Bundesbank wäre es ein Armutszeugnis, wenn sie damals die Tricks nicht durchschaut hätten. Sie hätten selbst im Handbuch der Arbeiterkammer für Betriebsräte nachlesen können, dass Griechenland ein Leistungsbilanzdefizit von rund zehn Prozent hat, dass also die griechische Wirtschaft nicht konkurrenzfähig ist.

In Wahrheit war es keine ökonomisch fundierte, sondern eine geopolitisch begründete Entscheidung, die damals vom deutschen Kanzler Gerhard Schröder und vom französischen Präsidenten Jacques Chirac getroffen wurde. Der richtige Weg wäre gewesen, den Griechen beizubringen, dass sie zuerst auf eigenen Beinen stehen müssen, bevor sie den Euro als Währung übernehmen können.

Hans-Werner Sinn vom Münchener IFO-Institut empfiehlt den Griechen, den Euro zu verlassen, eine eigene Währung einzuführen, was dann zu einer Abwertung um 40 bis 50Prozent führen würde. Die Löhne würden sinken, die Preise für Importe steigen, es würde weniger importiert werden, und als Draufgabe gäbe es auch eine Inflation. Unsere Erfahrung lehrt, dass es so nicht gehen wird. Die politische Führung der Hellenen hat inzwischen international so viel Vertrauen verspielt, dass ein Wiedereintritt in den Euro kaum machbar wäre.

Heiner Flassbeck hat einen konträren Vorschlag: Deutschland solle von Niedriglohnpolitik und Exportwahn abgehen, dann wären Griechenland und andere schwache Ökonomien in der Lage, konkurrenzfähig zu werden. Auch das wird nicht gehen.

Keine wirtschaftliche Basis

Gute Professoren der Nationalökonomie lehren ihre Schüler, dass sie auch hinter den Geldschleier blicken müssen. Und wie sieht die griechische Wirtschaft im Vergleich zur österreichischen aus?

Österreich hat Sommer- und Wintertourismus, eine Stahl- und Maschinenindustrie, eine Papier- und Holzindustrie, eine Chemische Industrie, eine Elektroindustrie und eine Hightechindustrie, eine konkurrenzfähige Lebensmittelindustrie, eine leistungsfähige Landwirtschaft und eine zu zwei Dritteln auf Wasserkraft basierende Stromproduktion etc., etc.

Was haben die Griechen? Die Griechen haben einen ausgezeichneten Sommertourismus, Reedereien und eine schwache Landwirtschaft. Eine großartige Exportentwicklung werden sie auf dieser Grundlage nicht zustande bringen.

Was Griechenland unbedingt braucht, ist Hilfe der EU, um eine breiter aufgestellte Wirtschaft zu entwickeln. Die USA haben Westeuropa nach 1948 geholfen, wieder auf die Beine zu kommen. Die EU verfügt über ein Sozialprodukt, das vier- bis sechsmal so groß ist wie das der USA, als sie den Marshallplan in Gang setzten. Das müsste doch eigentlich ausreichen, um Griechenland nachhaltig zu helfen.

Der Juncker-Plan und die Regionalförderung sind ein Ansatz. Damit könnten Erfolge erzielt werden, die die EU mit ihrem neoliberalen Instrumentarium bisher offenkundig nicht erreichen konnte.

Dr. Heinz Kienzl (geboren 1922 in Wien) war von 1973 bis 1988 Generaldirektor der Oesterreichischen Nationalbank.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2015)

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