Wien-Wahl: Warum Türken eine eigene Liste erwägen

Die Kritik am Wahlprojekt einiger Migranten ist schlicht undemokratisch.

Der Simmeringer Allgemeinmediziner und Obmann der UETD (Union Europäisch-Türkischer Demokraten), Turgay Taskiran, hat angekündigt, eine türkische Liste für die Wien-Wahl aufzustellen. Vor einigen Wochen noch wurde der Einzug der Kurdenpartei HDP ins türkische Parlament auch von Kommentatoren in Österreich als Sieg der Demokratie gefeiert. Dagegen ist man heute über die Ankündigung einer Migranten-Liste gar nicht mehr in Feierlaune.

Medien pauschalisieren, und so wird aus einer Liste kurzerhand eine Migrantenpartei und aus dem Ex-Vereinsobmann der UETD wird schnell ein Obmann der „Auslandstürken“. Beide Informationen sind einfach nur falsch, weil es eben keine Partei ist und weil die UETD keinesfalls „die Auslandstürken“ repräsentiert.

Nun kann man von der türkischen Liste halten, was man will, man kann sie unterstützen oder auch nicht. Aber viele zeigen sich ja schon allein aufgrund der Tatsache entsetzt, dass es eine solche Liste geben soll. Den Türken werden wieder einmal Integrationsunwilligkeit und Missbrauch der Gastfreundschaft unterstellt. Man jongliert mit Zahlen und zeigt auf, wie viele die Liste wählen müssten, damit die Rechnung aufgeht.

Ausgenützt als Stimmenfänger

Viel eher aber sollte man sich fragen, warum es notwendig ist, dass Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, es überhaupt für nötig halten, eine solche Liste zu gründen. Jahrelang wurden sie von den Großparteien auf unwählbaren Plätzen gelistet und als Stimmenfänger ausgenützt.

Ich erinnere mich an Gülsüm Namaldi, gereiht auf Platz 166, die mit 3254 sechsmal so viele Vorzugsstimmen erhielt wie der damalige amtierende Vizebürgermeister Ludwig. Wo ist Namaldi heute? Was macht sie? Renate Brauner, die nicht einmal die Hälfte der Vorzugsstimmen hatte, ist Vizebürgermeisterin. Sebastian Kurz erhielt 660 Vorzugsstimmen und ist Außenminister.

Verständliches Unbehagen

Ich persönlich halte die „Migranten-Liste“ für kontraproduktiv. Allerdings halte ich die Einstellung gegenüber dem Projekt für noch schlimmer. Diese Menschen wollen Politik machen, möchten am politischen Geschehen teilhaben und an der Gesellschaft partizipieren. Wenn sie das gut machen, werden sie gewählt; wenn nicht, werden sie auf die Nase fallen.

Das ist Demokratie. So habe ich das in Österreich gelernt. Deshalb verstehe ich Kommentare von Menschen nicht, die sich vor Wochen noch über den Einzug der HDP ins türkische Parlament freuten, sich aber nicht über die Migranten-Liste freuen können.

Nichtsdestoweniger kann ich das Unbehagen nachvollziehen. Es ist etwas Neues – und in Österreich ist es üblich, etwas Neuem generell skeptisch gegenüberzustehen. Eine türkische Liste würde außerdem Wählerschwund bei der SPÖ bedeuten, während die FPÖ sich daran ergötzen kann, weil sie jetzt auf die „Türken-Partei“ zeigen und noch mehr Hass schüren kann.

Migranten der ersten Generation waren oft Arbeiter und wählten jahrelang treu die SPÖ, weil man sagte, dass die SPÖ die einzige Partei ist, die sich für Ausländer und Arbeiter einsetzt. Nun ist es aber so, dass Migranten nicht nur mehr in erster Linie nur Arbeiter sind und auch andere gesellschaftliche Interessen entwickelt haben. Parteien müssen sich attraktive Inhalte überlegen, die auch diese Menschen ansprechen. Einfach nur zu sagen, dass man gegen Ausländerhetze sei, ist nämlich keine Integrationspolitik, sondern selbstverständlich und Menschenpflicht.

Teoman Tiftik ist in Wien geboren und aufgewachsen. Er war Redakteur beim Magazin „Das Biber“ und ist heute im
Marketing von Forbes Austria. Er studierte Journalismus und Medienmanagement.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2015)

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