Schulsystem im Griff der Landeshauptleute

Mit ihrer Absage an eine vernünftige Verwaltungsreform im Schulbereich haben die Landeshauptleute weiter die Verfügungsgewalt über die Schule, Lehrer- und Direktorenbestellungen. Lang lebe die Freunderlwirtschaft!

Die Bildungsreform ist weiterhin auf Kurs, und das Ergebnis wird plangemäß am 17. November präsentiert.“ Aus dem Munde von Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek klingt das wie eine Drohung. Wer die sogenannten Bildungsreformen der letzten Jahre und ihre Ergebnisse verfolgt hat, weiß, was nun auf Schule, Schüler und Lehrer zukommt: eine Abfolge von Durchhalteparolen, die eher an ein Selbstmotivationsseminar erinnern als an politisches Agieren.

Und zu erwarten ist ein verbissenes Ignorieren der Realität, die mit rhetorischen Tricks schöngeredet wird. Und am Ende wird eine Pseudoreform stehen, in der Ziele und Begriffe umgedeutet worden sind und die genau jene Bereiche und Steuerungsmechanismen unangetastet lässt, die an der Substanz der bestehenden Probleme etwas verändern würden.

Ein „Schutzgesetz“ für Lehrer

Wie war das noch bei der Reform des Lehrerdienstrechts? Nach jahrelangen Verhandlungen wurde ein Dienstrecht präsentiert, das die unzeitgemäße Definition der Lehrerarbeit über die Unterrichtsverpflichtung fortschreibt: Im Zentrum des „Arbeitsvertrags“ steht weiterhin die Anzahl der Unterrichtsstunden, jede Erhöhung der Unterrichtszeit muss als Mehrdienstleistung abgegolten werden.

Das Dienstrecht versucht immer noch, alle anfallenden Arbeiten von Lehrern zu erfassen, zu kategorisieren und den Aufwand zu regeln. Es behält damit den Charakter eines „Schutzgesetzes“, dessen unausgesprochene Aufgabe es ist, den Lehrer gleichsam vor den Zumutungen der modernen Lehrerarbeitswelt zu schützen. Es privilegiert rechtliche Normen als Basis der täglichen Zusammenarbeit und verhindert, dass sich an den Schulen kooperative und motivierende Arbeitsbeziehungen entwickeln, die einer modernen Schule entsprechen würden.

So gut wie alle renommierten Bildungsforscher haben das neue Dienstrecht als unzureichend und mit den Anforderungen eines modernen Schulalltags schwer vereinbar bezeichnet. Weder Projektarbeit noch der Ausbau der ganztägigen Betreuung und schon gar nicht die Bestrebungen für eine angemessenere Schulautonomie wird ausreichend berücksichtigt. Auch wurden die Übergangsbedingungen so definiert, dass neu eintretende Lehrer bis Herbst 2019 wählen können, ob sie nicht doch noch im alten Dienstrecht bleiben wollen.

Aber es gibt durchaus auch einen Erfolg zu vermelden: Als Gewinn bei der Summe des Lebensverdienstes berechnet das Ministerium je nach Schulstufe zwischen zwölf und 27 Prozent in der ersten Dienstperiode („Gewinn Lebensverdienst bis Alter 40“) und immerhin 8,5 Prozent für AHS/BHS-Oberstufenlehrer bis ans Ende der Berufszeit. Gratulation für die Verhandlungsführung der Lehrergewerkschaft!

Reform der Lehrerbildung

Wie war das noch bei der Reform der Lehrerbildung? 2009 wurde eine hochrangige Expertengruppe eingesetzt, um die „neue PädagogInnenbildung“ vorzubereiten. Deren Empfehlungen 2010 listeten u.a. folgende Kernpunkte auf: Kindergartenpädagogen in die universitäre Ausbildung aufnehmen, Lehrerausbildung der Sekundarstufe I (Hauptschule, AHS-Unterstufe) auf tertiärer Ebene zusammenführen.Die gemeinsame Lehrerbildung sollte in neuen Institutionen erfolgen, die sich aus ausgegliederten pädagogischen Fakultäten und strategisch weiterentwickelten Pädagogischen Hochschulen zusammensetzen. In diesen „Schools of Education“ sollten die pädagogische und fachdidaktische Kompetenz der Pädagogischen Hochschulen mit der wissenschaftlichen Kompetenz der Universitäten kombiniert werden. Ein adäquates Auswahlverfahren sollte sicherstellen, dass nur motivierte und geeignete Personen den Lehrerberuf ergreifen.

Was wurde bzw. wird tatsächlich umgesetzt? Die Elementarpädagogik bleibt gegen alle internationalen Trends im Bereich der Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik. Pädagogische Hochschulen und pädagogische Fakultäten wurden nicht zusammengeführt, sondern erhielten lediglich die Aufforderung, gemeinsam Konzepte zur Koordination und Zusammenarbeit zu entwickeln. Was eher schlecht als recht funktioniert.

Die Auswahlverfahren liegen in der Autonomie der Universitäten und werden in unterschiedlichsten Formen, zumeist als eine Art Selbsteinschätzung, gehandhabt. Der Qualitätssicherungsrat für Pädagoginnen- und Pädagogenbildung hat kürzlich festgestellt, dass es derzeit an professionell qualifiziertem Personal für eine qualitätsvolle Pädagogenbildung mangelt.

Wo ist die Neue Mittelschule?

Auch die erforderlichen Management- und Organisationsstrukturen in den zuständigen Institutionen sind schlichtweg nicht vorhanden. Die „neue PädagogInnenbildung“ startet österreichweit im Herbst 2015! Viel Glück!

Wie war das noch mit der Neuen Mittelschule? „Die Neue Mittelschule stellt den Kern eines zeitgemäßen Schul- und Bildungssystems auf der Mittelstufe der Zehn- bis 14-Jährigen dar. Sie verwirklicht moderne pädagogische Konzepte und gestaltet eine neue gemeinsame Lernkultur“, so Unterrichtsministerin Schmied 2008.

Tatsächlich fanden die Koalitionspartner keinen Konsens über eine gemeinsame Schule auf der Mittelstufe. In der praktischen Umsetzung blieb es bei einer parallelen Weiterführung von AHS-Unterstufe und Neuer Mittelschule. Weder wollten sich genügend Gymnasien umstellen, noch waren Bundeslehrer in ausreichender Zahl zu finden, um das geplante Teamteaching qualitätsvoll umzusetzen.

Nach dem Gießkannenprinzip

Wenig verwunderlich, dass von den hohen Zielen und Erwartungen in eine Verbesserung der Chancengerechtigkeit und eine Verbesserung der fachlichen Leistungsfähigkeit der Schüler kaum etwas übrig blieb.

Dafür wurde die Ausweitung der NMS auf ganz Österreich beschlossen, noch bevor die gesetzlich vorgesehene Evaluierung abgeschlossen war. Eine Entscheidung, mit der die vergleichsweise teuren zusätzlichen Ressourcen (300 Millionen €) nach dem Gießkannenprinzip auf alle Schüler und Schulen pauschal verteilt werden, anstatt sie auf jene zu konzentrieren, die sie tatsächlich benötigen. Gratulation an die Landeshauptleute zur außerplanmäßigen Erhöhung ihrer Bildungsbudgets!

Mit der Absage an eine vernünftige Verwaltungsreform im Schulbereich können die Landeshauptleute jenes System ungebrochen weiterführen, für das sie die Verfügungsgewalt über Schule, Lehrer- und Direktorenbestellungen benötigen: Es ist das System des Klientelismus, hierzulande Freunderlwirtschaft genannt, der notwendige Zwilling des Populismus. Wo sonst als im Schulsystem stehen beinahe unbegrenzt Posten zur Verfügung, die – natürlich streng nach Qualifikationsfeststellung, wie wir alle gut wissen – verteilt, gewährt, umgeschichtet und entzogen werden können. Je nachdem, was die Notwendigkeit des Machterhalts und das politische Kalkül gerade erfordern.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Wolfgang Feller ist Projektleiter für den Bereich Bildung bei der Agenda Austria. Er hat an der Uni Wien Geschichte und Germanistik studiert und mit einer Dissertation zur historischen Pädagogik promoviert. Als langjähriger parlamentarischer Referent verfolgt er die österreichische Bildungsdiskussion seit Anfang der 1990er-Jahre. [ Agenda Austria]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2015)

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