China und die Grenzen der weichen Macht

Die chinesischen Hilfsprogramme in aller Welt sind vielfach erfolgreich. Aber solange China Flammen des Nationalismus schürt und die Zügel der Parteikontrolle nicht lockert, wird seine Imagepolitur nicht nachhaltig sein.

China unternimmt bedeutende Anstrengungen, seine Fähigkeiten auszuweiten, ohne Gewalt und Zwang Einfluss auf andere Länder ausüben zu können. 2007 hat der damalige Staats- und Parteichef, Hu Jintao, erklärt, China müsse seine weiche Macht verstärken. 2014 wiederholte der jetzige Präsident und KP-Chef, Xi Jinping, diese Botschaft.

Beiden ist bewusst, dass sich Chinas Nachbarn aus Angst vor dessen wirtschaftlicher und militärischer Macht zur Bildung einer Koalition als Gegengewicht veranlasst sehen könnten. Eine intelligente chinesische Strategie muss deshalb auch Aktivitäten umfassen, die das Land weniger furchterregend erscheinen lassen. Freilich stehen diesen Bestrebungen in Richtung weicher Macht nach wie vor große Hindernisse im Weg.

Milliarden für Charmeoffensive

Natürlich zeigten die bisherigen Bemühungen Chinas durchaus Wirkung. Da China derzeit Mitgliedsländer für seine Asiatische Infrastrukturinvestitionsbank aufnimmt und im Ausland Milliarden Dollar an Hilfsgeldern verteilt, befürchten manche Beobachter inzwischen sogar, dass China die USA im Hinblick auf weiche Macht hinter sich lassen könnte.

Der US-Sinologe David Shambaugh schätzt, dass China jährlich etwa zehn Milliarden Dollar für „externe Propaganda“ ausgibt. Im Vergleich dazu ließen sich die USA 2014 ihre öffentliche Diplomatie nur 666 Millionen Dollar kosten. Allerdings brachten diese Milliarden Dollar, die China für seine Charmeoffensive ausgab, nur begrenzt Erfolge.

Aus Umfragen in Nordamerika, Europa, Indien und Japan geht hervor, dass die Meinungen über Chinas Einfluss überwiegend negativ ausfallen. Etwas positiver wird China in Lateinamerika und Afrika gesehen, wo es nicht in Territorialkonflikte verstrickt ist und wo auch Bedenken hinsichtlich der Menschenrechte nicht die oberste Priorität haben. Aber selbst in vielen Ländern dieser Regionen sind chinesische Praktiken wie der Import von Arbeitskräften für Infrastrukturprojekte unbeliebt.

Die Verschmelzung von harter und weicher Macht zu einer intelligenten Strategie erweist sich als keine einfache Aufgabe. Ein Land bezieht seine weiche Macht in erster Linie aus drei Quellen: aus seiner Kultur (in Ländern, wo diese Anklang findet), aus seinen politischen Werten (wenn man diesen Werten im In- und Ausland gerecht wird), aus seinen außenpolitischen Strategien (solange sie als legitim und mit moralischer Autorität ausgestattet betrachtet werden).

China unterstreicht seine kulturellen und wirtschaftlichen Stärken, legt aber weniger Augenmerk auf politische Aspekte. Wie aus jüngsten Umfragen hervorgeht, schränken zwei Faktoren die weiche Macht Chinas ein. Erstens der Nationalismus: Die Kommunisten begründen ihre Legitimität nicht nur mit hohem Wirtschaftswachstum, sondern auch mit nationalistischen Appellen. Doch damit verringern sie die Attraktivität des „chinesischen Traums“ von Präsident Xi und forcieren im Südchinesischen Meer und anderswo eine Politik, die die Nachbarn gegen China aufbringt.

So drangsaliert China die Philippinen in einem Territorialkonflikt um Inselgruppen im südchinesischen Meer. Dadurch stößt das von China in Manila zur Vermittlung chinesischer Kultur gegründete Konfuzius-Institut auf entsprechend begrenztes Wohlwollen. (China hat mittlerweile etwa 500derartiger Institute in 100 Ländern eingerichtet.)

Proteste in Vietnam

Die Folgen der Außenpolitik Pekings sind auch an den antichinesischen Protesten in Vietnam erkennbar, die aufgrund der Errichtung einer chinesischen Ölplattform in von beiden Ländern beanspruchten Gewässern ausgebrochen sind. Den zweiten einschränkenden Faktor bildet der Unwille der chinesischen Führung, die Vorteile einer unzensierten Zivilgesellschaft in vollem Umfang zu nutzen.

Unglaubwürdige Propaganda

Wie im Wirtschaftsmagazin „Economist“ festgestellt, hat sich Chinas KP noch nicht mit der Idee angefreundet, dass der Ursprung weicher Macht größtenteils bei Bürgern, dem Privatsektor und der Zivilgesellschaft liegt. Stattdessen klammert man sich an die Vorstellung, der Staat sei die wichtigste Quelle weicher Macht. Man fördert die Vermittlung von Symbolen alter chinesischer Kultur und nutzt dafür Instrumente der Propaganda.

In der Medienlandschaft von heute herrscht kein Mangel an Information. Ein knappes Gut hingegen ist Aufmerksamkeit, die allerdings von Glaubwürdigkeit abhängt – und Regierungspropaganda ist in den seltensten Fällen glaubwürdig. Trotz aller Bemühungen Chinas, die Nachrichtenagentur Xinhua und den staatlichen Fernsehsender China Central Television als Konkurrenz zu CNN und BBC aufzubauen, bleibt das internationale Publikum für spröde Propaganda überaus dünn gesät. Im Gegensatz dazu beziehen die USA einen Großteil ihrer weichen Macht nicht aus der Arbeit der Regierung, sondern aus der Zivilgesellschaft – zu der Universitäten und Stiftungen ebenso gehören wie Hollywood und die Popkultur. China verfügt noch nicht über eine globale Kulturindustrie in der Dimension Hollywoods oder über Universitäten, die mit US-Pendants mithalten könnten.

Noch wichtiger: Es fehlt an vielen jener Nichtregierungsorganisationen, die für einen großen Teil amerikanischer weicher Macht verantwortlich sind. Diese nicht staatlichen Quellen weicher Macht erzeugen nicht nur Wohlwollen. Vielmehr gelingt es ihnen, aufgrund ihrer kritischen und unzensierten Reaktionen in manchen Fällen sogar, einen Ausgleich zu unpopulären Maßnahmen der Regierung zu schaffen – siehe etwa US-Invasion im Irak.

Ein leerer Stuhl in Oslo

Im Gegensatz dazu werden Chinas Erfolge im Bereich weicher Macht bisweilen von der Regierungspolitik untergraben. Mit dem drastischen Vorgehen gegen Menschenrechtsaktivisten schmälert China seine Zugewinne an weicher Macht, die man durch die Olympischen Spiele in Peking 2008 erlangt hat. Und der Vorteil, den man aus der Expo 2009 in Shanghai zog, war rasch zunichtegemacht, als man Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo inhaftierte und bei der Liveübertragung der Osloer Feierlichkeiten ein leerer Stuhl zu sehen war.

Chinas Hilfsprogramme sind vielfach erfolgreich und konstruktiv. Die Wirtschaft ist stark, und die traditionelle Kultur trifft weithin auf Bewunderung. Wenn das Land allerdings sein enormes Potenzial an weicher Macht ausschöpfen möchte, muss man die Politik im eigenen Land und auf internationaler Ebene überdenken, die Ansprüche gegenüber den Nachbarn im Zaum halten und Kritik akzeptieren. Solange China die Flammen des Nationalismus schürt und die Zügel der Parteikontrolle nicht lockert, wird seine weiche Macht weiterhin begrenzt bleiben.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Copyright: Project Syndicate, 2015.

DER AUTOR


E-Mails an:debatte@diepresse.com

Joseph S. Nye (geboren 1937 in South Orange, New Jersey) ist Professor für Politikwissenschaft an der Harvard University. Er war Vorsitzender des National Intelligence Council (1993–94) und stellvertretender US-Verteidigungsminister (1994–95);Mitglied des globalen Agendarats über die Zukunft des Regierungswesens des Weltwirtschaftsforums. Soeben ist sein neues Buch erschienen: „Is the American Century Over?“ [ Project Syndicate ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2015)

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