Die Politik und die Ökonomiegesetze

Lehren aus der Griechenland-Krise: Die Eurozone muss eine Konkursordnung für Staaten entwickeln.

Nach langem Poker ging es am Ende sehr schnell, und man einigte sich auf ein drittes Hilfsprogramm für Athen in Höhe von 86 Mrd. Euro, einem halben griechischen Bruttoinlandsprodukt. Man war erschöpft, wollte in die Sommerpause und nahm es zum Schluss auch mit den Auflagen nicht mehr so genau.

Der – mittlerweile abgelöste – Finanzminister Varoufakis hatte, wie er mitteilte, bereits vor einem halben Jahr eine geheime Arbeitsgruppe zur Einführung einer Parallelwährung und Übernahme der griechischen Zentralbank durch die Regierung gebildet. Auch die deutsche Regierung war bereit, sich in das scheinbar Unvermeidliche zu fügen. Hätte nicht François Hollande hinter dem Rücken von Kanzlerin Merkel mit der griechischen Regierung verhandelt, hätte die Geschichte einen anderen Verlauf genommen.

Das Gerangel war das Ergebnis des Versuchs der Politik, sich über die ökonomischen Gesetze hinwegzusetzen. Das Dogma von der Unfehlbarkeit der europäischen Entscheidungen und der Unumkehrbarkeit eines jeden Integrationsschritts kollidierte mit der ökonomischen Wirklichkeit.

Europa stehen noch viele solche Konflikte bevor, wenn es seine Schuldenprobleme weiterhin so zu lösen versucht wie im Falle Griechenland. Der Grundfehler war, dass man im Jahr 2010 auf französischen Druck unter Bruch der No-Bail-out-Regel des Maastrichter Vertrages die privaten Gläubiger Griechenlands gegen öffentliche Gläubiger in Form anderer Eurostaaten ausgetauscht hat. Damit hat man den natürlichen Streit, der stets zwischen Gläubigern und Schuldnern ausbricht, wenn es dem Ende zugeht, zu einem Streit zwischen souveränen Staaten gemacht, der die Völker Europas gegeneinander aufhetzte und radikalen politischen Parteien Zulauf verschaffte. Das hat den europäischen Integrationsprozess schwer geschädigt.

Ohne die Schuldensozialisierung durch die Rettungsschirme hätte Varoufakis, oder wer sonst Finanzminister gewesen wäre, den Konkurs erklären und sich an seine privaten Gläubiger aus einer Vielzahl von Ländern wenden müssen. Die Regierungen dieser Länder hätten ihre Banken dann mit Steuergeldern retten müssen. Auch das wäre kein Vergnügen gewesen, doch hätten sich dabei niemals Staaten ineinander verbeißen können. Wie die Beispiele der Dexia-Bank oder der Hypo Real Estate vermuten lassen, wäre vermutlich alles relativ geräuschlos und ohne internationale Konflikte abgelaufen.

Finanzieller Neuanfang

Unterstützt von der Presse versuchen die Banken im Falle drohender Abschreibungsverluste stets, Weltuntergangsszenarien zu beschwören, bis die Politiker zitternd die Geldbörsen der Steuerzahler zücken. Aber die über 180 Staatskonkurse, die es seit dem Weltkrieg gegeben hat, führten in aller Regel nicht zu größeren Verwerfungen, sondern waren stets ein Neuanfang für die betroffenen Staaten. In Wahrheit sind die Gefahren, die aus der Schuldensozialisierung für den Frieden in Europa resultieren, wesentlich größer als die Gefahren möglicher Finanzkrisen.

Die Lehre aus dem Griechenland-Debakel lautet deshalb, dass die Eurozone so schnell wie möglich eine Konkursordnung für Staaten entwickeln sollte, die verhindert, dass andere Staaten über Mechanismen der Schuldensozialisierung in die Rolle von Gläubigern kommen. Wenn andere Staaten Beistand leisten wollen, so sollten sie es in Form unilateraler humanitärer Hilfen tun, ohne Bedingungen zu stellen oder Geld zurückzufordern. Nur so lässt sich der politische Zusammenhalt Europas bewahren.

Copyright: Project Syndicate, 2015 www.project-syndicate.org

Der Autor ist Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität von München, Präsident des IFO-Instituts für Wirtschaftsforschung und Berater des deutschen Wirtschaftsministeriums.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.