Härtetest für Flüchtlinge

Viele Österreicher haben mehr Angst vor den Kriegsfolgen in den Köpfen der Flüchtlinge als vor den Asylsuchenden selbst.

Die schlimmsten Auswirkungen des Krieges, die ich je gesehen habe, betrafen einen afghanischen Universitätsprofessor, der der Caritas-Betreuerin wie ein Hündchen überallhin folgte. Wenn sie an ihrem Schreibtisch arbeitete, stand er in seinem Anzug in der Zimmerecke und wartete still. Sie wusch seine Wäsche. Die Taliban hatten ihn an eine Hundehütte gekettet, und er musste bellen, wenn jemand vorüberging. Ein großer, schöner Mann mit Goldrandbrille. Er konnte natürlich keine Exemplare unserer Flüchtlingszeitung verkaufen. Die anderen beiden stark traumatisierten Flüchtlinge, die ich sah, waren zwei Jugendliche, die nicht still stehen konnten. Ihr Internetcafé im Gazastreifen war in die Luft geflogen, sie wussten nicht warum und ob die Bombe nur ein Fehler, ein Missverständnis war–aber dieser Schock setzte die beiden dermaßen in Bewegung, dass man mit ihnen eine Runde um das Haus laufen musste, wenn man mit ihnen reden wollte.

Es ist schon erstaunlich, dass gerade von Flüchtlingen erwartet wird, dass sie psychisch dermaßen abgehärtet seien, dass sie den widrigsten Bedingungen standhalten könnten. Wie man derzeit in Traiskirchen sieht. Dieser Härtetest, der hier veranstaltet wird, ist die Härte. 2003, als ebenfalls sehr viele Flüchtlinge nach Österreich kamen, sah ich stille, resignierte tschetschenische Familien, die im Park schlafen mussten. Damals brachten wir die ersten Flüchtlinge als Zeitungsverkäufer beim „Augustin“ unter.

Neulich stieg einer unserer ersten Flüchtlinge, die sich vor zehn Jahren als Zeitungskolporteure erfolgreich finanziell durchgebissen hatten, aus einem Caritas-Auto aus. Er ist jetzt der Altenbetreuer des Alkoholiker-Opas mit multipler Sklerose in unserer Straße. Andere wurden Taxifahrer, wie einer, den mein Kollege zwangsweise in Therapie verfrachtete – den Überlebenden eines Massakers in Ruanda. Nach jahrelanger Trauerarbeit hat er jetzt Frau und Kinder. Die syrischen Familien mit Kindern, auf die man im Freibad trifft, wirken sehr selbstbewusst. Sie stammen aus der Mittelschicht, und ihre Flucht hat nicht so lange gedauert. Die „Arbeit der Erniedrigung“ durch verschiedenste Ausbeuter und Grenzschützer, wie sie andere Flüchtlinge erleben mussten, die Jahre unterwegs waren, scheint ihnen erspart geblieben zu sein. Das gibt Hoffnung.

Oft habe ich mich gewundert, wie wenig Unterstützung und Aufmerksamkeit ein Flüchtling (selbst ein Minderjähriger) braucht, um aufzublühen und sich gut zu entwickeln. Diese Menschen sind es gewöhnt, auf eigenen Füßen zu stehen. Manchmal glaube ich, viele Österreicher haben mehr Angst vor den psychischen Kriegsschäden der Flüchtlinge als vor den Menschen selbst. „Der Krieg ist keine Sache der Gefühle. Er ist eine Sache der Abwesenheit von Gefühlen. Ebendiese Leere ist das Kriegsgefühl“, schreibt Georges Didi-Hubermann in „Remontagen der erlittenen Zeit“. Wir sollten schauen, dass wir dieses Gefühl der Leere nicht unterstützen oder weitertragen, weder in uns noch in anderen.


Die Autorin war bis 2004 koordinierende Redakteurin der „Bunten Zeitung“, einer Wiener Flüchtlingszeitung mit ungefähr 100 Asylwerbern als Zeitungsverkäufern.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2015)

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