„Und bedenke das Ende!“ Krisenmanagement tut not

Wird die Lage ernst, geht bald jedes Maß verloren. „Die Presse“ holt Ausreißer mit Bedacht in die Wirklichkeit zurück.

Es geschieht viel auf einmal: Flüchtlingsscharen kommen, Landtagswahlen kommen, nur die Politiker kommen mit den Problemen nicht zu Rande. In solchen Zeiten hat eine Zeitung mit Seriositätsanspruch die Gelegenheit, in Berichterstattung und Kommentar bei all ihrer Urteilsschärfe die Aufmerksamkeit der Menschen doch von Erregungsspitzen abzulenken und die Ereignisse in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Der freiheitliche Parteichef H.-C. Strache erweist sich bei den ORF-Sommergesprächen als Publikumsmagnet erster Ordnung? Was könnte man in diesem Fall alles hineinmischen und aufladen, aber die Zeitung konstatiert kühl: „Und sollte er (Strache) jemals regieren, dann ist die größte Gefahr, die von ihm ausgeht, nicht der Faschismus, sondern der Dilettantismus“ (19.1.). In scheinbaren Nebenbemerkungen steckt die trockene Einsicht derer, die sich jahrelang im Gehäuse der wenig ruhmreichen Innenpolitik bewegen.

Kaum ein anderes Medium würde zum diesjährigen Ausklang der einst elitären Salzburger Festspielen so überzeugend nachweisen, dass aus ihnen „ein zeitgemäß ,breit aufgestelltes‘ Kulturjahrmarktstreiben“ geworden sei und dass sich dieses teuerste Festival der Welt durch „solche Allerweltsprogrammatik nicht rechtfertigen“ lasse (17.8.). Und dass überhaupt respektlose Regisseure die „Oper um ihre Zukunft“ brächten. „Es wären die Intendanten gefragt, ihr Publikum vor solchen künstlerischen Betrügereien zu schützen“ (25.8.). Wenn dieses Verdikt stimmt, dann wäre Österreich nicht nur wirtschaftlich und schulisch, sondern sogar mit seiner Hochkultur auf der schiefen Ebene.

Das Flüchtlingselend wird in anderen Weltteilen verursacht, aber in Europa leider politisch-handwerklich mangelhaft bewältigt. Deswegen aber gleich die ganze Republik als letztklassig hinzustellen, verdient den berechtigten Zwischenruf aus dem außenpolitischen Ressort: „Schämen muss sich Österreich nicht. Was die Republik und Bürger insgesamt für Flüchtlinge leisten, kann sich international sehen lassen.“ (15.8.)

Manches von dem haben schon die Alten gewusst. Wer diese mindestens 2400 Jahre alte Lebensweisheit als Erster formuliert hat, ist nicht sicher festzustellen, ist aber bis heute gültig: „Was immer du tust, handle klug und bedenke das Ende.“

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Manchmal mischt sich ein „Erratum“ in den Fluss der Nachrichten. Die Redaktion wird das nicht gern hören, aber selbst diese „Errata“ – kleine Entschuldigungen – sind ein interessanter Lesestoff. Die Zeitung gesteht darin ein, dass wieder einmal Millionen mit Milliarden verwechselt wurden oder die Prozentrechnung nicht gestimmt hat. Soll nicht sein, kommt aber vor, und ein Erratum ist jedenfalls nobel. Es gibt freilich Rechenfehler, die nicht aus Zahlen bestehen und schon deshalb kaum bemerkt werden. Dafür entschuldigt sich nie jemand. Am ersten Tag der Öffnung der griechischen Börse sei „der griechische Aktienmarkt so stark eingebrochen wie noch nie“ (4.8.). Wenige Zeilen später wird „der niedrigste Stand seit drei Jahren“ verraten. Warum so plump übertreiben und drei Jahre mit der Ewigkeit verwechseln?

Am selben Tag lautet der Aufmachertitel: „Slowakei sperrt sich gegen Flüchtlinge“ (4.8.). Das ist eine kurzschlüssige und fast manipulative Behauptung, die sich auf die Abstimmung eines Teils der 4300 Wahlberechtigten des slowakischen Dorfes Gabčíkovo bezieht, von denen 97 Prozent die Unterbringung von Flüchtlingen aus Österreich ablehnten. Ein Dorf voller Unmut ist nicht gleich die ganze Slowakei, auch wenn einige slowakische Regierungsmitglieder am Sinn der vertraglichen Abmachung mit Österreich zu zweifeln beginnen.

Oder zur Lage arbeitsloser Flüchtlinge: „Der größte Anteil entfällt auf Wien, wo knapp 11.700 Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte beim AMS gemeldet sind, weit abgeschlagen von Oberösterreich (1500) und Niederösterreich (1250).“ Was bedeutet in diesem Bericht „weit abgeschlagen“?

„Shell kürzt 6500 Stellen“, lautet eine Überschrift im „Economist“ (31.7.). Die Stellen werden nicht kürzer, sie werden abgebaut und verschwinden.

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Die unösterreichische Ordnungszahl „der Siebte“ (statt der Siebente) geistert noch immer durch die Zeitungsspalten. Unangenehmer ist aber eine riesige Überschrift: „Der Letzte machte das Licht wieder an“ (23.8.). Hierzulande wird das Licht auf- und abgedreht oder ein- und ausgeschaltet. Das klingt außerdem eleganter als das nordische „Licht anmachen“.

Hier weitere drei Beispiele für abgegriffene Phrasen, die offenbar unausrottbar sind: „nachvollziehbar“, „Nägel mit Köpfen machen“, irgendetwas „einläuten“, beispielsweise die Liberalisierung in Frankreich. Folgt man Zeitungsmeldungen, so läuten überall Glocken.

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Anders als beim neuen Betriebssystem Windows 10 hätte früher allein die Installation solcher Systeme „das Frustlevel in die Höhe getrieben“ (2.8.) Frustlevel ist eine erlaubte Wortschöpfung nach dem Prinzip zusammengesetzter Hauptwörter. Dabei bestimmt aber das Grundwort Level das Geschlecht. Der Frustlevel ist männlich.

Laut der Maiskogel-Betriebsgesellschaft hätten Zeugen ein Mädchen beobachtet, wie sie in einer Kurve aus der Rodel kippte (6.8.) Nicht sie, sondern es flog aus der Bahn.

EU-Mitglieder, „die gemäß an Marktgröße übermäßig hohe Gewinne im Bankensektor ausweisen“ (6.8.): Gemeint ist wohl: „gemessen an der Marktgröße“.

„Wegen dessen, was sie sagte“ ist eine interessante, aber unglückliche Wendung (23.8.).

„Ein Remis, das vor allem Rapid freut“, weiß der Sport zu vermelden und legt los: „Salzburg und die Wiener Austria trennten einander 2:2“ (24.8.) So geht es leider auch im Sportjargon nicht. Sie trennten sich. Sportlich haben sie gewiss einander bekämpft, aber nicht getrennt.

Rechtspopulisten „bedienen sich verstärkt dem Argumentationsmuster, die Presse als ,Lügenpresse‘ zu bezeichnen“ (1.8., Wissen). Sie bedienen sich des Argumentationsmusters wäre inhaltlich auch nicht feiner, aber grammatikalisch richtig.

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Der tägliche Wetterbericht nimmt den Sommer hindurch eine wichtige Stellung ein. Die Hitze (um die geht es hauptsächlich) vermag die journalistische Logik zu krümmen: „Der eben zu Ende gegangene heurige Juli ist neuer Rekordhalter“ (1.8.). Das Attribut „heurig“ ist so unnötig wie ein weißer Schimmel – jeder eben zu Ende gegangene Juli ist zwingend ein heuriger.

Eine Geburt, wie immer sie sich vollzieht, ist ein großartiges Ereignis im evolutionären Geschehen. Aber so kann der Prozess selbst bei Grünen Baumeidechsen nicht verlaufen: „Die Tierpfleger in Schönbrunn experimentierten herum, bis die Bedingungen gefunden waren, damit die Eier schlüpfen und die Jungtiere überleben“ (1.8., Wissen). Bis Eier schlüpfen, wird es vielleicht noch heißer werden.

DER AUTOR

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist, Mitbegründer und Sprecher der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

Spiegelschrift@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2015)

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