Im Schützengraben der Gesinnung

Eine neue Gattung taucht auf der politischen Bühne auf. Der soziale Gerechtigkeitskämpfer ist auf dem Kriegspfad.

Das Wording ist martialisch. Kriegsrhetorik pur. Kampfgeheul für die gute Sache. Dabei scheut der Kämpfer weder vor Recht noch Rechtsstaatlichkeit zurück, denn er lebt seine eigene Form. Zu retten gibt es immer etwas: Klima, Umwelt, Flüchtlinge. Jedes Anliegen ist von höchster Brisanz. Moralisch hochwertig, sodass es den Einsatz stärkster Mittel rechtfertigt. „Denn retten kann so schön sein“, las ich es erst unlängst, völlig ironiefern. Bei den Blues Brothers hieß es noch: „Unterwegs im Namen des Herrn.“ Aber höhere Aufträge hatten immer schon etwas Fanatisches.

Zum Einsatz kommt die Moralkeule, die den Weg freischlägt. „Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“ Dabei hat der Kämpfer selbst das Patent auf die richtige Auslegung und ist somit Ankläger, Richter und Exekutor in einem. Der soziale Gerechtigkeitskämpfer ist unaufhaltbar. Er befindet sich stets auf Kriegspfad, ist immer auf Mission, liegt ständig auf der Lauer.

Der Frontverlauf hat sich längst eingegraben, im Schützengraben der Gesinnung. Und die Gräben werden tiefer, denn die Bruchlinien der Gesellschaft verfestigen sich in Krisenzeiten.

Wo Unrecht vermutet wird, ist rasches und entschlossenes Handeln erforderlich. Opfer sind schnell ausgemacht: Unterprivilegierte, Rechtlose, Entfremdete. Denn ohne Opferstatus geht gar nichts mehr. Die Realität wird ausgeblendet – ebenso wie die Rechtmäßigkeit gültiger Verordnungen. Trifft die Ideologie auf die Realität, schade für die Realität – das ist die Wirklichkeit.

Letzte linke Zuckungen?

Sind es die letzten Zuckungen einer verzweifelten Linken, die sich einen neuen Waffenbruder angelächelt hat? Im immerwährenden Kampf gegen Kapital-, Global- und Imperialismus ist jeder Verbündete ein wichtiger Kampfesfreund, selbst wenn man dabei nur den „nützlichen Idioten“ (Lenin) gibt.

Die Sprache ist entlarvend. Grenzen können niemanden stoppen! Mauern haben auch nie funktioniert (außer dort, wo die Geistesverwandten sozialer Gerechtigkeitskämpfer den Schussbefehl auf Flüchtende ausgeben, oder?). Ebenso könnte die Straßenverkehrsordnung außer Kraft gestellt werden, mit der Argumentation: Unfälle passieren sowieso.

Aus Gräben werden Gräber

Das übliche Plädoyer für Anarchie und Chaos. Eine Realverfassung für politische Kräfte, die Morgenluft wittern und sich im Biotop einer Union, die den fortgesetzten Rechtsbruch (Lissabon, Maastricht, Schengen, Dublin et.al.) zum Status quo erhoben hat, immer heimischer fühlen.

Jeder Andersdenkende, der auf geltendem Gesetz beharrt, ist ein natürlicher Feind. Dabei wird es schnell untergriffig. Mittel der Wahl ist der neu geschaffene Verhetzungsparagraf (§283). Da wird aus Leibeskräften denunziert und diffamiert, angezeigt und verklagt. Gedanken sind nicht frei, sondern gefährlich. Aus Worten können Taten werden, also Argumentationsverzicht bei Skepsis?

Sicheres Erkennungszeichen eines totalitären Staates ist das Verfolgen von Gesinnung. Die Entmenschlichung der Gegner erscheint als oberstes Gebot. Motive der Gegner werden als nicht legitim dargestellt. Die Absichten der anderen sind schändlich, die eigenen sakrosankt.

Nicht der Zweck heiligt die Mittel, sondern die eingesetzten Mittel entheiligen den Zweck. Sobald Gewalt und Sanktionen gegen Andersmeinende angedacht werden, entlarvt sich die Angelegenheit als faschistisch – und somit automatisch als bekämpfenswert. Aber das hat den „Wohlfahrtsausschuss“ der Französischen Revolution oder den Volksgerichtshof nie bekümmert. Und dann werden aus ideologischen Gräben rasch reale Gräber.

Karl Weidinger (*1962) lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Wien und im Burgenland. Sein Anliegen ist die Gesellschaftskritik.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2015)

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