Wie ein Suizid auf Raten

Österreich fällt wirtschaftlich immer weiter zurück, weil Strukturreformen ebenso wie Zukunftsinvestitionen ausbleiben.

Der österreichische Wirtschaftsmotor stottert, die Arbeitslosigkeit steigt. Ursache: ein Wirtschaftswachstum, das weit unter dem der USA und Deutschlands liegt, aber auch unter dem Europas. Grund dafür ist laut Wifo die mangelnde Umsetzung dringender Strukturreformen. Die digitale Revolution – Stichworte Industrie 4.0, Internet der Dinge – verspricht zusätzliches Wachstums- und Beschäftigungspotenzial für jene Länder und Unternehmen, die an der Spitze voranmarschieren. Österreich läuft Gefahr, zum Nachzügler zu werden.

Alle Ökonomen einschließlich Hard-Core-Keynesianern sehen drei Kernbereiche für die nachhaltige Steigerung des Wachstumspotenzials: Bildung, Forschung, und digitale Infrastruktur. Diese sind daher trotz aller Budgetprobleme prioritär zu behandeln. Aussagen wie „alle müssen einen Beitrag zur Budgetkonsolidierung leisten“, stellen hier eine brandgefährliche Drohung dar. Auch die grundsätzlich positive Steuerreform samt hochgejubelter Kaufkraftstärkung wird das längerfristige Wachstumspotenzial nicht steigern. Gerade darum geht es aber.

Eben wurde das zweite verpflichtende Kindergartenjahr abgesagt, aber für die Förderung der Väterkarenz ist Geld vorhanden. Die Mogelpackung „Neue Mittelschule“ verbessert etwas die Ausstattung der Hauptschulen, ohne wirklich das Humanpotenzial von Kindern benachteiligter Schichten in städtischen Gebieten besser zu entwickeln und damit einen Wachstumsbeitrag sowie höhere Chancengleichheit zu generieren.

Unterfinanzierung der Unis

Die vergleichsweise dramatische Unterfinanzierung der Universitäten in den wirtschaftsrelevanten Fächern und der bedrohliche Braindrain sind kein Thema des öffentlichen Diskurses. Da diskutiert man lieber mit Inbrunst Arbeitszeitverkürzung und Abbau der hierzulande ohnehin geringen Ungleichheit sowie über Möglichkeiten, im Hochsteuerland Österreich „arbeitslose Einkommen“ stärker zu besteuern. Und wundert sich, wenn der Wirtschaftsstandort in internationalen Bewertungen abrutscht.

Ja, im Unternehmensbereich ist mit der Anhebung der Forschungsprämie ein positiver Schritt gesetzt worden. Die Finanzierung des dafür unerlässlichen Unterbaus Grundlagenforschung wurde hingegen auf „garantiert“ niedrigem Niveau festgesetzt, das Ziel einer weiteren Erhöhung der Forschungsquote de facto fallen gelassen. Als Kollateralschaden wandern Spitzenwissenschaftler ab beziehungsweise kommen nicht nach Österreich.

Im Infrastrukturbereich dominieren immer noch zweifelhafte Tunnelprojekte. Groß diskutiert werden Handytarife statt der Frage, wie die Betreiber die notwendigen Investitionen in eine moderne Telekom-Infrastruktur finanzieren können. Ein optimaler Einsatz der Breitbandmilliarde läuft Gefahr, an den Begehrlichkeiten einzelner Bundesländer und mangelnder Professionalität auf Gemeindeebene zu scheitern.

Bei Zukunftsinvestitionen zu sparen, notwendige Strukturreformen auf die lange Bank zu schieben und damit nachhaltig auf Wirtschaftswachstum zu verzichten, kommt ökonomischem Selbstmord auf Raten nahe. Genau das tut aber die Politik im Verein mit einer immobilisierten Sozialpartnerschaft.

Erhard Fürst (* 1942) leitete zuletzt den Bereich Wirtschaft und Industriepolitik der Industriellenvereinigung.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2015)

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