Die Skepsis hat Hochsaison

Wo das Vertrauen in Institutionen und Systeme verloren gegangen ist, breitet sich Angst aus. Populisten nützen das aus.

Wenn im Haus gerade die Lichter ausgegangen sind und alle im Dunkeln herumirren, denkt niemand über die Ursache nach. Nein, wir suchen wie verrückt nach einer Kerze und nach dem Sicherungskasten, um schnell wieder Licht zu machen. So geht die Politik auch mit gesellschaftlichen Herausforderungen um. Regierende reagieren hektisch auf Krisen. Manche Entwicklungen, die zunächst für Ratlosigkeit sorgen, verlieren in Ruhe betrachtet aber viel von ihrer Dramatik.

Aktuelles Beispiel ist die Flüchtlingspolitik. Österreich und Europa haben solche Herausforderungen in der Vergangenheit bereits wiederholt gemeistert. Wenn Regierende wollen, geht das. Gut durchdachte Lösungsvorschläge, wie eine transparente Aufnahmepolitik und eine koordinierte Sicherheits- und Hilfsarbeit in der Krisenregion Nahost, können schnell Wirkung zeigen.

Anstatt von einem kurzfristigen Schritt zum nächsten zu stolpern, sollten wir innezuhalten und nachdenken, welche Ursachen sich im Hintergrund erkennen lassen. Welche tektonischen Verschiebungen passieren im Gebälk der Gesellschaft, während die Politik im Erdgeschoß den Lichtschalter sucht? Wird da nicht eine gesamtgesellschaftliche Haltung der Skepsis und des Vertrauensverlustes spürbar? Sind die Wahlerfolge der Rechts- und Linkspopulisten nicht Ausdruck der Ablehnung tradierter Organisationen und Werte?

Verlangen nach Partizipation

Der Vertrauensverlust in Institutionen und Systeme ist offensichtlich, er zeigt sich nicht nur an Wahlsonntagen. Warum erlebt die Sehnsucht nach dem Regionalen einen Aufschwung? Warum machen sich Mütter und Väter daran, alternative Schulen zu gründen?

All das sind Phänomene, die einerseits Ausdruck eines Vertrauensverlusts sind, die sich andererseits auch als ein Verlangen nach Teilhabe interpretieren lassen. Wer sich Ende August am Wiener Westbahnhof umgesehen hat, konnte beides beobachten. Wie aus dem Nichts kamen Menschen zusammen, um Hilfe für Flüchtlinge auf die Beine zu stellen. Die Kraft der Selbstorganisation hat selbst angesehene NGOs überrascht.

Keine Aktion wie „Nachbar in Not“ und kein Appell der Politik hat diese Bewegung ins Rollen gebracht. Und das Signal dahinter lautet: Wir vertrauen euch nicht mehr, wir packen selbst an!

Was bedeutet das für die Politik? Für Parteibewegungen an beiden Rändern des Spektrums ist die Skepsis und der Vertrauensverlust die große Chance, auf Wählerfang zu gehen. Zur Kommunikation mit der Zielgruppe braucht es keine etablierten Medien mehr, diese Spieler erreichen ihr Publikum direkt. Jüngste Wahlergebnisse sprechen eine klare Sprache. Wo Vertrauen fehlt, breitet sich Angst aus.

Für progressive Kräfte aus dem linken und konservativen Lager wird Partizipation zur Überlebensfrage. Wenn es die Parteien nicht schaffen, den Menschen Möglichkeiten zu bieten, in der Politik Sinn stiften zu können, werden sie sich noch frustrierter abwenden. Ziel muss es sein, neue Andockstellen für die Engagierten zu schaffen. Sonst gehen der Politik die konstruktiven Kräfte endgültig aus.

Philippe Narval, Geschäftsführer des Europäischen Forums Alpbach, das im Frühjahr 2016 zum vierten Mal das Innovationslabor „Re:think Austria“ veranstaltet.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2015)

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